Von Grenzen befreit

 

Wiebke Frost, Foto von Hannes Caspar

Wiebke Frost,
Foto von Hannes Caspar

Vor dem Gespräch mit Wiebke Frost schaue ich mir – wie immer – ihre Biographie an, verschiedene Trailer, Fotos… Ich sehe eine Frau mit Stil und Elegance, mit viel Erfahrung vor allem im Theater, aber gleichwohl in Film und Fernsehen. Sie tänzelt durch die Pfade der Klassik mit dem gleichen Esprit, der gleichen Sicherheit und Leidenschaft, wie durch die der Moderne.

Als ich dann mit der Schauspielerin rede, wackelt dieses Vorab-Bild nicht. Es füllt sich vielmehr. Ich lerne zusätzliche markante Facetten kennen – Fröhlichkeit, Lachen… Antworten schnell aus der Hüfte geschossen genauso wie reiflich überlegt.

Immer dabei – ihr Herz für ihren Beruf, basierend auf eine Frage:

.

„Was hat es mit mir zu tun?“,

.

… das fragt Wiebke Frost sich, wenn sie einen Film anschaut, „was mich treibt, das suche ich in diesen Filmen“. Sie möchte sehen, wie Grenzen fallen, möchte neue Blicke gewinnen: „Ein Film soll mich im Idealfall so überraschen,  dass ich meine Sichtweisen ändere“, sagt sie. Und: „Unterhalten!“

So nimmt es nicht wunder, dass die Schauspielerin, wenn sie selbst agiert, „berühren möchte, Botschaften vermitteln“. Und wenngleich sie groß geworden ist mit den Arbeiten von Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta oder Wim Wenders, sieht sie auch den heutigen, den neuen deutschen Film, dabei ganz vorne. Christian Schwochow benennt sie beispielsweise als Regisseur. „Er versteht es, berührend und klar zu inszenieren, dabei Klischees klug zu vermeiden“, schwärmt sie, „das ist die Art zu arbeiten, die ich liebe“.

Wiebke Frost , Foto von Alan Ovaska

Wiebke, fotografiert von Alan Ovaska

Wiebke sieht ihren Schauspielberuf, sowohl vor der Kamera als auch auf der Bühne, als „wahre Passion, angetrieben von Liebe und Leidenschaft und der Suche nach der Wahrheit“. Sie gibt sich der Rolle, die sie gerade verkörpert, hin, vergisst dabei ihr eigenes Ego. „Ich überlasse mich der Geschichte und Biografie der Rolle, dem Moment und dem Partner. Diese Augenblicke sind magisch“. Sie kommt aus dem Schwärmen nicht mehr heraus: „Starke Kollegen sind dabei ein Geschenk, sie inspirieren mich.“

.

„Ich stelle mich der Figur zur Verfügung“,

.

… konstatiert Wiebke, nach einer gespielten Vorstellung verspüre ich oft eine Leere in mir, bis in den nächsten Tag“. Steht sie auf der Bühne, fühlt die Schauspielerin den Atem des Publikums: „Es ist wie eine Art Verantwortung, die man hat, für eine Wahrheit, eine Vision, eine Botschaft zu kämpfen. Um jene Hoffnung, dass man etwas beitragen kann, um Sichtweisen zu verändern – für den kostbaren Moment, doch zu beeinflussen, dass neue Gedanken, neue Verhaltensweisen im Zuschauer entstehen können. Und um die Möglichkeit zu nutzen, auf gesellschaftspolitsche, soziale Ungerechtigkeiten zu reagieren. Jenes Quentchen Verführung zu neuen Impulsen. Das hatte ich bereits bei Peter Zadek gelernt.“

Vor Rollen, die vielleicht sogar noch weit über das Bösewicht-Image hinausgehen, schreckt die Schauspielerin alles andere als zurück. „Der schmale Grat der Entscheidung… Wodurch wurde ein Mensch geprägt oder verlockt“, will Wiebke wissen und vor allem zeigen: „wieso verlief der Weg in eine fatale Richtung und warum hat die Person den Schalter nicht umgelegt?“ Den Fiesling ohne Hintergrund empfindet sie langweilig: „Ich möchte ahnen, was dahinter steckt!“

Und Traumrollen? Die Frau aus dem Norden, die in der halben Welt zuhause ist und seit geraumer Zeit in Berlin lebt, stand auf Bühnen, spielte Figuren, die nach dem gelebten Traum klingen: Burgtheater Wien, Schillertheater Berlin, Berliner Ensemble, Theater Basel; die Bianca in „Othello“, die Julia in „Liebe Macht Tod“, die Nerissa in „Der Kaufmann von Venedig“ oder die Böse Tante in „Die drei Räuber“ – um nur einige zu nennen.

Wiebke Frost, Foto von Hannes Caspar

Wiebke Frost,
Foto von Hannes Caspar

„Ich habe tolle Rollen gespielt“, bestätigt Wiebke Frost, „hingebungsvolle Kämpferinnen; Frauen, die Werte verkörpern…“ Letztlich macht die Schauspielerin diese Charaktere indes „selbst zur Traumrolle!“ Wie aktuell die morphinsüchtige Mary in „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugene O´Neill, für die sie gerade in Dresden probt.

Sogenannte Nebenrollen gibt es für Wiebke Frost nicht. „Auch in wenigen Sequenzen kann man das Geheimnis einer Figur zeigen“, ist sie sicher. Stets möchte die zierliche Powerfrau mit den braun/grünen Augen „die Hintergründe ausloten, in den Charakter einsteigen“. Sie will „den gesamten Reichtum, die gesamte Fülle zeigen und deren Seele bloßlegen“. Kurz gesagt:

.

… „Die Figur leben, nicht spielen!“

.

Dies, den Charakter zu leben, statt zu spielen, sieht Wiebke als typisch und notwendig speziell für die Arbeit für den Film. „Die Kamera zeigt mehr als man denkt“, weiß sie, „das Unterbewusstsein spielt mit.“

Da bieten natürlich Geschichten, in denen sie „komplexe Frauenfiguren“ verkörpern kann, „Kämpferinnen, die Spionin, Agentin, Kommissarin mit Schicksal im Hintergrund – oder historische Rollen“, die schönste Bandbreite. Dabei, und das unterscheidet sich nicht von der Bühnenarbeit, kann die Schauspielerin vor allen das legen, was sie im eigenen Leben bereits gelebt hat oder was gerade ansteht.

Wenn Wiebke beispielsweise über Arbeiten der Regisseure Michael Haneke oder Lars von Trier spricht, zeigt sie sich davon fasziniert, dass es „an die Grundfeste der Menschlichkeit geht“. Sie fühlt sich genau da angesprochen, gerät in einen Sog irgendwo zwischen Realität und Magie, dem sie sich nicht entziehen kann. Und gerne ist sie mittendrin.

Da ist die Schauspielerin schon einige Zeit. In großen Rollen an großen Theatern und auch in Film und Fernsehen in Deutschland, Österreich und Frankreich. Tatort-Einsätze stehen ebenso zu Buche wie solche in der Serie „Um Himmels Willen“ zum Beispiel. Ihr Debüt gab sie in „Malina“, einem deutsch-österreichischen Spielfilm aus dem Jahre 1991 unter der Regie von Werner Schroeter.

Wiebke Frost, Foto von Hannes Caspar

Wiebke Frost,
Foto von Hannes Caspar

Wiebke Frost spielte die Schwester der namenlosen Autorin, die von der unvergleichlichen Isabelle Huppert verkörpert wurde. Bei diesem Dreh lernte die junge Frau „die französische Art sich auszudrücken“ kennen. „Isabelle spielt auf ihre eigene hochintelligente Weise“, zeigt sie sich nach wie vor begeistert, „sie zog mich durch ihre Leichtigkeit mit, ohne dass ich es merkte – diese schöne Leichtigkeit, die Tragik mit Tiefe und Dramatik verbindet.“

..

… „Das berührt das Herz direkt – und ist französische Lebenskunst!“

.

Wiebke sieht in dieser Zusammenarbeit eine Art Initiation bis dahin. „Ich wusste nun, so kann es gehen“, setzt sie ein bisschen einen Meilenstein. Den ganz persönlichen Ursprung ihrer Schauspielerinnenkarriere datiert sie indes Jahre davor: „Mit zehn Jahren gab ich persönliche kleine Vorstellungen im Garten, spielte Szenen aus Märchenbüchern oder Comics. Irgendwo stand sogar eine Kasse. Und mit der Dorfjugend studierte ich etwas später Sketche ein. Auch als Rocksängerin wollte ich mich versuchen.“

Da Wiebkes Vater als Hobbyfilmer Dokus über Reisen drehte, stand das Mädchen beizeiten vor der Kamera, moderierte an. Irgendwann wusste sie: „Im Fernsehen, da will ich spielen!“ Wie, das wusste sie erst später. In Kurzfassung: Abitur, staatliche Schauspielschule…

Die Zeit am Max-Reichardt-Seminar in Wien erlebte sie „mit sehr guten Lehrern vom Burgtheater, mit viel Freude und dem Anstoß, weiter zu kommen“. Letztlich, meint Wiebke, bietet die Schule (auch der Lee Strasberg Workshop mit Walter Lott) „nur die Möglichkeit, sich das Rüstzeug zu holen, und sich einzuverleiben, was man braucht. Wie später mit dem Beruf umzugehen ist, muß man selber lernen – wie beim Schwimmen“. Auf der Bühne und vor der Kamera, so erklärt sie, „musst du im Spiel sowieso alles abstoßen und dich von den Grenzen befreien“.

Wiebke Frost, Foto von Hannes Caspar

Wiebke Frost,
Foto von Hannes Caspar

Und dann, wenn der Bühnen-Vorhang hoch geht und das Stichwort fällt oder am Film-Set der Regisseur „und bitte“ sagt, wird Wiebke sich von ihrem Instinkt leiten lassen, Figuren mit Leben füllen, sie wird immer jenes unberechenbare Moment suchen, das Leben ausmacht, und sie wird hoffentlich oft gar nicht bemerken, wenn sie ihre Rolle nicht mehr nur spielt, sondern sie lebt.

.

JJ

.

Weitere Informationen:

Wiebke auf der Webseite ihrer Agentur und Wiebkes Webseite

.

Foto Startseite: Hannes Caspar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*