Abdriften von der geglaubten Wahrnehmung

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Selam Tadese, Foto Markus Goldhahn

Selam,
Foto Marcus Goldhahn

Der Schauspieler Selam Tadese agierte unter anderem in „Der weiße Äthiopier“ an der Seite von Jürgen Vogel oder im Kinospielfilm „Schneeflöckchen“. Am Theater verkörperte er beispielsweise in Shakespeares „Othello“ den Jago.

2016 wurde der 1,74 Meter große, sportliche Schwabe in einer Hauptrolle für den HBO-Piloten „Mogadishu, Minnesota“ gecastet. Regie führte Knaan Warsame, produziert wurde von Kathryn Bigelow und Carolyn Strauss. 2020 spielte er eine Nebenrolle in der Ufa Fiction/Netflix Produktion „Betonrausch“ unter der Regie von Cüneyt Kaya.

Der inzwischen in Berlin lebende junge Mann erlernte sein Handwerk am ETI Europäisches Theaterinstitut/Schauspielschule Berlin und in Los Angeles bei Tony Greco. Darüber, und viel mehr, erzählt er uns hier und jetzt:

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„… und überhaupt waren einige Sachen surreal…“

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JJ: Selam, gehen wir, zumindest in meinen ersten beiden Fragen, die Sache mal eben chronologisch an: Wann und wie entstand in dir der Wunsch, Schauspieler zu werden; plötzlich oder peu à peu, vage oder klar und unwiderruflich? Schon in der Kindheit?

Selam Tadese: In meiner Jugend hatte ich queerbeet viele Filme angeschaut. Von Heinz Rühmann bis zu Martial-Arts Filmen. Insbesondere Darsteller wie Bruce Lee, Jackie Chan oder Jean-Claude Van Damme konnte ich wie in einer Endlosschleife anschauen.

Wirklich inspiriert hatte mich jedoch der amerikanische Film. Schauspieler wie Al Pacino, Robert De Niro, Susan Sarandon, Denzel Washington sogten mich in ihren Bann und waren der Grundstein, Schauspieler zu werden. Ich nahm an, dass ich übersinnliche Kräfte haben müsste, um an EINER einzigen Schauspielschule in der ganzen Welt aufgenommen zu werden:) Das dachte ich wirklich!

JJ: Hattest du am „ETI, Europäisches Theaterinstitut/Schauspielschule Berlin“ von Beginn an das Gefühl richtig zu sein?

Selam: Das erste Jahr war etwas schwierig, da ich immerzu das Gefühl hatte, nicht klug genug zu sein. Aber auch deswegen, weil Mitstudenten sich im Voraus viel mehr mit Theater auseinandergesetzt hatten.

Selam Tadese; Foto Copyright Adam Bay

Selam Tadese;
Foto Copyright Adam Bay

Ich war kurz davor aufzugeben, doch meine Klasse und die Dozenten hatten mich ermutigt weiterzumachen. Das werde ich ihnen nie vergessen! Danach fühlte ich mich vollkommen frei.

JJ: Im Kinospielfilm „Schneeflöckchen“ gibt es eine Szene mit dir, in der sich Todernst und Humor treffen und vereinen. Es geht um knallharten Auftragsmord; Waffen sind im Spiel, ein Blinder, ein Biodroid, Worte aus der untersten Schublade, verbitterte Mienen – und gleichwohl Lachen bei zumindest einem der Protagonisten und Schmunzeln beim Zuschauer. Eine solch absurde Situation glaubhaft darzustellen, ist das die Kunst des Schauspiels?

Selam: Jegliche Situation glaubhaft darzustellen ist die Kunst des Schauspiels.

JJ: Für mich macht den Unterschied zwischen einem Schauspieler und einem hammerhammerguten Schauspieler oft aus, wie er redet. Bei manchen klingt es (in meinem Ohr) wie auswendig gelernt und aufgesagt – bei manchen einfach nur echt und mit Direktfahrschein ins Herz. Wo machst du als Zuschauer/Zuhörer den Unterschied fest?

Selam: In dem was er nicht sagt beziehungsweise von sich gibt.

JJ: Und wenn wir einmal bei Zuschauer/Zuhörer sind – was fasziniert dich, wenn du im Fernseh,- Kino- oder Theatersessel sitzt, am Schauspiel? Und was, wenn du selbst agierst?

Selam: Zwischenmenschliche Beziehungen jeglicher Art. Sich von seiner geglaubten Wahrnehmung abdriften zu lassen, um in eine andere einzutauchen is fucking fascinating:)

JJ: Selam, du stehst auf der Bühne und dein Stichwort fällt – oder am Kameraset, und der Regisseur sagt sein „… und bitte!“; was geht in jenen Momenten (und während deines Spiels) in dir vor, was denkst, fühlst, spürst du, wer bist du?

Selam: Ich bin vollkommen in der Szene. Falls nicht, geht’s wieder auf Anfang. Beim Theater heißt es wiederum: mach das beste daraus oder du bist gearscht!

JJ: Wie schnell kommst du rein in die Rolle, wie schnell raus?

Selam Tadese; Foto von Markus Goldhahn

Selam;
Foto von Marcus Goldhahn

 

Selam: Das Rauskommen ist easy. Das Reinkommen hängt von der Produktion ab, was es wiederum spannend macht. Das Reinkommen ist, sofern das Projekt was hergibt, einer der aufregendsten Prozesse der Arbeit.

JJ: Was machen in jenen Momenten die Kolleginnen oder Kollegen mit dir, wie beeinflussen sie dein Spiel?

Selam: Im Grunde genommen sollte es egal sein, was die Kollegen machen. Aber wenn du mich so fragst, fällt mir direkt Jürgen Vogel ein, mit dem ich in den Genuss kam, drehen zu dürfen.

Ein Profi. Fokussiert bei der Arbeit und doch ist es, als ob du auf Wolken schwebst. Mit ’nem Vanilleeis in der Hand. Wie gesagt: Ein Genuss.

JJ: Wir haben im Vorfeld über meine Karate-Erfahrungen vor 100 Jahren während meiner Armeezeit gesprochen, Selam. Du hast mir erzählt, dass du gerne Kampfsport betreibst. Warum, was genau, was bedeutet dir die Zeit auf der Matte, was gibt es dir?

Selam: Durch einen sehr guten Freund von mir (Eskindir Tesfay) bin ich mit fünfzehn zur Kampfkunst gekommen. Vieles, was er mir beibrachte, prägt mich heute noch. Kickboxen, Muay Thai, Boxen, Bodenkampf sind Kampfsportarten, die mich inspirierten.

Bei allen Hürden und Niederlagen brachten sie mir Ruhe. Und wenn du das auch noch mit Freunden ausüben kannst, ist es meditierend.

JJ: Auch über meine Erfahrungen im Ländle haben wir geredet. Erzähle mal, was empfindest du als typisch Schwäbisch, wieviel Schwabe steckt noch in dir, nach vielen Jahren Berlin und auch Ausland?

Selam: Als Schwabe hat es mich mit Anfang 20 zuerst nach Köln gezogen. Ich habe dort gute Freunde gewinnen können, und wenn ich dort bin, grüßen mich manchmal fremde Menschen.

Selam Tadese, fotografiert von AdamBayPhotography

Selam Tadese,
fotografiert von AdamBayPhotography

In Berlin wirst du eher beschimpft. Hier fühle ich mich wie Napoleon mit ’nem Apfel in einer Schlacht.

Wohingegen es mir im Schwabeländle so vorkommt, als hätte ich meine Familie und Freunde erst vor kurzem gesehen (ein wunderschönes Gefühl). Hinter all den Klischees des Schwaben, der immer „schaffe tuat“, stecken nach meiner Erfahrung eigenartige Figuren, aus denen ich auch schauspielerisch viel schöpfe. Ich glaube, der Berliner in mir wird den Schwaben immer etwas missen und freut sich, wenn er hin und wieder zuhause ist.

JJ: Apropos Ausland, Selam. Was hatte dich im Jahr 2018 nach Los Angeles und speziell zu Tony Greco getrieben? Wie waren deine Erfahrungen da, kochen die mit Wasser, was machen sie anders, was ist anders aus deiner Sicht?

Selam: Da ich 2016 in einer Hauptrolle für einen HBO Piloten (Mogadishu, Minnesota) gecastet wurde und noch ein Visum hatte, dachte ich mir, 2018 mal Los Angeles anzuschauen. Deren Wasser ist etwas cooler und neugieriger auf Menschen.

Und überhaupt waren einige Sachen surreal: Vom Kaffee trinken mit Carolyn Strauss, die dir erzählt, dass sie gerade dabei ist, „Chernobyl“ zu produzieren, bis hin zu Kiefer Sutherland, der dich an der Bar anspricht, um dir zu sagen wie cool du bist.

Es ist einfach die Mentalität. Mit Carolyn Strauss habe ich heute noch Kontakt. Ich hatte ihr zu „Chernobyl“ gratuliert. Man kann von den Amis halten was man will, jedoch ist eins klar: Kommunikation ist ihnen wichtig.

Das merkt man schon an den Schauspielschulen, an denen man, soweit ich weiß, mit Dialogen und nicht wie bei uns mit Monologen vorspricht. Der zwischenmenschliche Kontakt steht an erster Stelle.

JJ: Du hast mal unter anderem am Theater den Jago in Shakespeares „Othello“ gegeben. Wie war das? Eine Traumrolle? Hast du nach wie vor Lust auf die Bühne und den direkten Publikumskontakt?

Selam: Derartige boshafte Rollen machen für mich das Leben lebenswert:) Shakespeare an sich ist schon ’ne geile Nummer. Ob ich Bock auf die Bühne habe? Immer!

JJ: Selam, was liegt schauspielerisch aktuell und mittelfristig an?

Selam Tadese, Foto von Markus Goldhahn

Selam,
Foto von Marcus Goldhahn

 

Selam: Ich bereite mich auf die Dreharbeiten für „SOULS“ (sky original series) vor, was hier in Berlin gedreht wird. Es gibt noch ein bis zwei andere Film- und Fernsehproduktionen in der Pipeline und eine Theaterproduktion im Sommer, sollten es die derzeitigen Umstände erlauben. Ich bin gespannt:)

JJ: Und meine Lieblingsfrage in meiner Eigenschaft als Träumer: Welche Rolle in welchem Genre mit welchen Kolleginnen oder Kollegen (inklusive Regie) möchtest du gerne mal spielen?

Selam: Mit wem ich arbeiten möchte? Da gibt es soo viele, deren Arbeit ich schätze. Aber mit den oben genannten Schauspielern auf jeden Fall… Haha.

Viola Davis hat es mir ziemlich angetan – eine grandiose Schauspielerin. Regisseure wie Kathryn Bigelow, Martin Scorsese, Christopher Nolan, Michael Mann würde ich heimlich am Set aufnehmen:) Aber auch mit Freunden und Bekannten zu drehen wäre Hammer – oder mit Schauspielern, vor denen ich eventuell Angst hätte, wie beispielsweise Daniel Day-Lewis oder Benicio del Toro.

JJ: Vielen Dank, viel Erfolg, mehr Spaß und noch mehr Gesundheit!

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Weitere Informationen: Selam auf der Agenturwebseite
Selam auf filmmakers.de

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Foto Startseite: Marcus Goldhahn

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