Zeit für Zwischenmomente

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Anne von Keller fotografiert von Teresa Marenzi

Anne von Keller, fotografiert von Teresa Marenzi

Anne von Keller hat schon für zahlreiche Fernseh- und Kinofilme sowie Fernseh- oder Webserien vor Kameras gestanden. Die 1,70 Meter große Berlinerin macht außerdem Musik.

Davon erzählt sie uns. Auch, welcher Film sie mal besonders beeindruckt hat, wie wichtig beim Dreh Kolleginnen und Kollegen sind und was sie sich von der Rhönfee wünscht, die hier noch rumläuft. Angeblich.

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„Wenn die Fee wirklich was drauf hat, dann soll sie mich doch bitte in einen Film mit … zaubern“

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JJ: Anne, gehen wir doch gleich mal in medias res; auf mich wirkst du, vor allem in der Mimik, aber auch gestisch, schon von Natur aus sehr ausdrucksstark. Hast du also leichtes Spiel vor der Kamera?

Anne von Keller: Vielleicht insofern ja, dass ich weiß, dass selbst kleinste Gefühlsregungen in meinem Gesicht ablesbar sind. Selbst wenn ich Gefühle verstecken will, scheint noch was durch. Und für die Kamera ist das natürlich sehr gut.

Eine gute Nahaufnahme lässt ja Gedanken und Empfindungen sichtbar werden, ohne dass die Schauspielerin oder der Schauspieler seine Mimik einsetzt. Die Arbeit ist nun, in die jeweilige Rolle so hineinzukommen, dass deren Gedanken meine sind und andersrum. Wenn das klappt, dann ist es danach beim Drehen leichtes Spiel vor der Kamera und macht glücklich.

JJ: Und ein bisschen im Anschluss an die erste Frage: Im Kurzspielfilm „Flecken auf Weiss“ gibt es eine Szene, in der du über eine Minute nicht sprichst und irgendwie doch etwas sagst. Sind solche Möglichkeiten der Darstellung ein Bestandteil deiner ganz persönlichen Faszination Schauspiel?

Anne: Auf jeden Fall. Ich mag die Momente dazwischen. In denen äußerlich scheinbar nichts passiert, aber in der Figur, die ich spiele, ganz viel. Das können alltägliche Handlungen sein. Man erfährt viel über einen Menschen, wenn man ihm beim Kaffee machen oder beim Zähne putzen zuschaut.

Das wird meiner Meinung nach oft vernachlässigt in Filmen: Sich wirklich ernsthaft Zeit für solche Zwischenmomente zu nehmen. In Dialogen erzählen die Worte oft nur einen kleinen Teil von dem, was die Figur ausmacht.

Ich denke, es ist manchmal einfacher, eine Figur ohne Worte zu beschreiben als mit. Denn gerade wenn man alleine ist, nicht spricht, wird es spannend, da dann die Maske, die ja fast jeder im Kontakt mit anderen Menschen vor sich herträgt, wegfällt. Dieses Alleinsein vor der Kamera hinzubekommen ist etwas, das ich versuche, zu erzählen und das ich in Filmen gerne sehe.

JJ: Bitte beschreibe mal, wie du diese Szene angegangen bist; war die Regievorgabe klar, hast du dir vorab Gedanken gemacht und es dann einfach raus gelassen?

Anne von Keller fotografiert von Teresa Marenzi

Anne von Keller, fotografiert von Teresa Marenzi

Anne: Bei „Flecken auf Weiß“ war es speziell. Der Film war komplett improvisiert. Das heißt, es gab kein Drehbuch. Ich hatte im Vorfeld mit der Regisseurin Laura Schwickerath meine Rolle mit ihrer Geschichte und ihrem Charakter sehr genau erarbeitet. Wir haben viel gesprochen und uns natürlich auch Gedanken über ihre Beziehungen zu den anderen Figuren gemacht.

Beim Dreh hat sich Laura aber rausgehalten und alle Schauspieler*innen haben ohne Unterbrechung drei Stunden lang am Stück mit drei Kameras um sich herum improvisiert. Niemand wusste, wo die Geschichte hingeht und was als nächstes passieren wird. Das hat großen Spaß gemacht, da bei dieser Art des Spielens einem überhaupt nichts anderes übrig bleibt, als sich komplett hineinzuwerfen. Und ich mag am Spielen genau das, überrascht werden von dem, was man als nächstes tut.

JJ: Wenn du vor der Kamera stehst, Anne, das Mikrofon baumelt irgendwo über dir und der Regisseur sagt sein „… und bitte“; was geht genau in jenen Momenten in dir vor, was denkst oder fühlst du? Wie viel du bist du, wie viel Rolle?

Anne: Im besten Falle bin ich entspannt und komplett in der Rolle. Naja, also das entspannt Sein stellt sich nicht immer ein. Lampenfieber ist meistens dabei. Aber je länger ich spiele, desto mehr kann ich darauf vertrauen, dass die Rolle genau in diesem Moment da ist.

Das hat auch viel mit Vorbereitung zu tun. Wenn ich an einer Rolle arbeite, mache ich das meistens mit meinem Coach Jens Roth. Und dessen Methode „Source Tuning“ hilft mir sehr, diese Grenzen zwischen Rolle und mir selbst aufzuheben.

Mit dieser Methode kommt die Figur aus mir heraus und somit stellt sich die Frage gar nicht so sehr, wie die Anteile sind, da sie einfach da ist. Da ich für sie die Hülle gebe, hat sie natürlich sehr viel von mir, aber kann gleichzeitig komplett diametral zu meinem eigenem Charakter sein.

JJ: Wie wichtig sind dabei die Kolleginnen und Kollegen, was bewirken sie wie in dir?

Anne: Es beflügelt so sehr, mit guten Kolleg*innen zu spielen und holt Seiten aus mir raus, die ich alleine vielleicht so nicht entdeckt hätte. In dem Moment, in dem ich einen Gegenüber beim Spiel habe, habe ich ja die große Chance, mich von ihm überraschen zu lassen, auf ihn zu reagieren und so in meinem Spiel noch freier zu werden.

Und wenn beide Schauspieler*innen diese Durchlässigkeit mitbringen, dann wird es spannend und es können diese Momente entstehen, die den Zuschauer komplett fesseln, da auch er spürt, dass hier etwas Neues entsteht, das über die geschriebene Szene hinausgeht.

JJ: Bist du manchmal schon auf dem Weg zum Dreh, in der Straßenbahn zum Beispiel, in der Rolle oder erst am Set
auf Fingerschnipps?

Anne: Unterschiedlich. Das kommt auf die Rolle an.

JJ: Anne, ich als Zuschauer, Laie also, denke, dass Drehs mit Schauspielgrößen wie Maria Furtwängler („Das Wetter in geschlossenen Räumen“), irgendwie besonders oder anders sind… Ist das typisch Laiendenken, kochen alle nur mit Wasser?

Anne von Keller fotografiert von Teresa Marenzi

Anne von Keller, fotografiert von Teresa Marenzi

Anne: Ich glaube, das kann man so nicht verallgemeinern. Jeder Dreh ist anders.

Und ich glaube nicht, dass abgesehen von äußeren Gegebenheiten wie ein bisschen mehr Aufhebens um die Person, Drehs mit bekannten Schauspielern*innen sich in der Arbeitsweise von anderen unterscheiden. Aber natürlich ist es spannend zu erleben, wie jemand, den man schon oft im Fernsehen gesehen hat, arbeitet.

JJ: Zu Beginn der 80er Jahre saß ich in einem prallgefüllten Erfurter Kino und lachte und weinte Tränen mit allen anderen im Saal bei „Einer flog über das Kuckucksnest“. Nach dem Film musste ich draußen mit einem Bekannten erstmal zehn Minuten auf einer Bank sitzen. Schweigend. Einfach so zum klar kommen. Kennst du das, gibt es solche Filme für dich auch? Was haben diese Streifen (für dich)?

Anne: Mir ging es bei dem Film „The Broken Circle Breakdown“ von Felix van Groeningen so. Ich habe ihn auf der Berlinale 2013 gesehen und konnte nicht mehr aufhören zu weinen, auch nachdem der Film zu Ende war.

Ich habe mir danach auch noch „Die Beschissenheit der Dinge“ von ihm angeschaut. Ganz anders, aber auch ein toller Film.

„The Broken Circle Breakdown“ erzählt eine sehr emotionale und tragische Geschichte, ohne in die Nähe des Kitschs zu kommen oder mit den Gefühlen des Zuschauers zu spielen. Dazu kommt das sehr feine und nuancierte Spiel der Schauspieler*innen und der Einsatz der Musik, die eben nicht wie so oft aus dem Off reindudelt, sondern die von einer Countryband kommt, die man dann auch wirklich im Bild spielen sieht.

Wenn ich bei Filmen merke, meine Gefühle werden manipuliert, steige ich oft aus. Ich muss der Regisseurin oder dem Regisseur vertrauen können, um mich ganz einzulassen. Das ist beim Anschauen von Filmen ganz ähnlich wie beim selber Spielen.

JJ: Eigentlich wollte ich nicht, nun aber doch nochmal ein Schwank aus meiner Jugend. Ich arbeitete neben einer Schauspielschule in Leipzig und hörte öfter aus den geöffneten Fenstern seltsame Geräusche. Sehr seltsame. Beängstigend teilweise, verrückt, komisch… Hast du dir manchmal während der Coachings, Workshops oder Trainings, die du absolviert hast, die Frage gestellt: Wo bin ich denn jetzt hingeraten? (wenn du weißt, was ich meine)

Anne: Ich weiß genau, was Du meinst. Und am Anfang ging es mir auch so. Aber das hat schnell nachgelassen, weil man dann ja auch selber zu den Stöhnern, Schreiern und Quietschern gehört.

Und genau das hat eben auch was mit Loslassen und sich Öffnen zu tun, was so wichtig beim Spielen ist. Aber nichtsdestotrotz bin ich auch sehr dankbar, dass man bei Workshops und Coachings unter sich ist.

JJ: Bei uns hier in der Rhön läuft noch eine Fee durch die Wälder und Auen. Was wünscht du dir in Sachen Schauspiel von ihr, Anne; welche Rolle, welches Filmgenre, welchen Regisseur, welche Kollegen…?

Anne: Wenn die Regisseurin oder der Regisseur eine Vision hat und die Arbeit der Schauspielerinnen und Schauspieler versteht und dann noch das Drehbuch gut ist, sind mir das Filmgenre und die Rolle egal. Ich spiele gerne Charaktere, die Widersprüche in sich tragen. Aber die sind mit einem guten Drehbuch ja gegeben. Und wenn die Fee wirklich was drauf hat, dann soll sie mich doch bitte in einen Film mit Charlotte Rampling zaubern.

JJ: Wenn ich richtig gesehen habe, hast du noch nicht Theater gespielt. Wenn ja, warum? Hast du Lust darauf?

Anne: Irgendwie hat es sich noch nicht ergeben. Ich habe mal etwas Performance gemacht bei einem Projekt der Theaterautorin Gesine Danckwart. Und dann stehe ich natürlich mit meiner Band „Sorry Gilberto“ auf der Bühne.

Das heißt, ich kenne dieses beflügelnde Gefühl, vor Menschen zu spielen und diese Energie aus dem Publikum zu bekommen. Ich habe mich früher immer ausschließlich als Filmschauspielerin gesehen, weil ich meine Freiheit beim Spielen sehr mit der Kamera verbunden habe.

Die Neutralität der Kamera gab mir den Raum, jemand anderes zu sein. Inzwischen könnte ich mir auch vorstellen, Theater zu spielen, wobei ich gleichzeitig auch großen Respekt davor habe.

"Sorry Gilberto", fotografiert von Rainer Stosberg

„Sorry Gilberto“, fotografiert von Rainer Stosberg

JJ: Was steht bei dir beruflich demnächst an; kurzfristig, mittelfristig, langfristig?

Anne: In diesen Zeiten ist das Planen ja etwas schwierig. Mit meinem Bandpartner Jakob Dobers arbeite ich an Songs für unsere fünfte Platte, die kommendes Jahr erscheinen soll. Und ich hoffe sehr, dass das Landshuter Kurzfilmfestival im März stattfinden kann, bei dem ich in der Jury sitze.

JJ: Anne, eigentlich nicht mein Thema, weil aus meiner Sicht diesbezüglich zu viel Unsinn geredet, geschrieben und gemacht wird, aber für Schauspieler/innen ein Riesenproblem: Corona. Wie nutzt du die drehfreie Zeit? Hast auch du den einen oder anderen Klopapierfilm gedreht ;-)?

Anne: Klopapierfilme gab es bei mir nicht. Ich habe einfach mehr Musik gemacht. Das ist ja der große Vorteil, den die Musik gegenüber dem Schauspiel hat. Man braucht nicht ein ganzes Team, um kreativ zu werden, sondern kann sich zu zweit – in unserem Fall in meiner Küche, die auch Proberaum ist – treffen und neue Songs entwickeln.

JJ: Vielen Dank, viel Erfolg, mehr Spaß und noch mehr Gesundheit!

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Weitere Informationen: Webseite von Anne von Keller  oder Anne auf filmmakers.de

Foto Startseite: Teresa Marenzi

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