Der Bändigung widersetzen

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Lia von Blarer, Foto von Katrija Lehmann

Lia von Blarer,
Foto von Katrija Lehmann

Lia von Blarer sagt, dass sie schon als Kind so vieles in ihrem Leben sein wollte, dass sie dafür Schauspielerin werden musste. Hat funktioniert…

Ihr Handwerk erlernt hat die 1,70 große Frau mit den grau-blauen Augen an der Hochschule für Musik und Theater Rostock sowie während eines Erasmussemesters in Paris an der École supérieure d’art dramatique. Was passieren muss, dass sie nach getaner Arbeit glücklich nach Hause geht oder was passiert ist, als sie ohne Wohnmöglichkeit und mit wenigen Sprachkenntnissen ins Nachbarland Frankreich zog, erzählt uns Lia selbst.

Und mehr. Nur hier, nur jetzt:

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„… es gibt eine Seite von mir…“

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JJ: Lia, gehen wir doch gleich mal eben in medias res. Worin besteht deine ganz persönliche Faszination Schauspiel – als Zuschauerin, als Akteurin?

Lia von Blarer: Die Schauspielerei ist für mich von allen Formen der Kunst die lebendigste. Sie widersetzt sich der Bändigung – entgegen eines Bildes, Fotos, Textes. Das lässt sich jetzt für die Bühne einfacher sagen, als für den Film, aber im Endeffekt läuft es auf das Gleiche hinaus.

Mich berührt, was sich mir nicht vollständig offenbart. Was lebt, also spielt, und sich stetig umentscheiden kann. Ich als Schauspielerin suche im Moment des Spielens immer das Unvermittelte. Wenn ich selber nicht weiß, was mir als Nächstes passiert, dann gehe ich nach getaner Arbeit glücklich nach Hause.

JJ: Wenn du spielst, egal ob auf der Bühne oder vor der Kamera, was geht in dir vor, was denkst, fühlst oder spürst du, wer bist du?

Lia: Oh. Das lässt sich im besten Falle nicht pauschal beantworten.

JJ: Sind deine Schauspielkolleginnen und Kollegen wichtig in jenen Momenten, was machen sie mit dir?

Lia: Für mich ist die Schauspielerei absolute Teamarbeit. Es interessiert mich wenig, wie gut ich einen Text rezitieren oder wie schön oder hässlich ich aussehen kann. Ich brauche meine Spielpartner und- partnerinnen, um eine Reibung zu finden. Dazu zähle ich im Endeffekt auch das Publikum und die Regie.

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„Das größte Geschenk war wohl, dass sich nichts von dem eingelöst hat, was ich mir vorgenommen hatte.“

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JJ: Mir haben Kolleginnen und Kollegen von dir erzählt, dass sie eine Theateraufführung als gemeinsames Erlebnis mit dem Publikum wahrnehmen – und dass da Energieaustausche stattfinden. Wie empfindest du das, Lia?

Lia: Der Beschreibung schließe ich mich gerne an. Ich spüre häufig, wie viel Energie dadurch generiert wird, dass ein Publikum mir zusieht, mich hört, eigene Emotionen zu meinem Spiel entwickelt. Das funktioniert auch, oder gerade, bei körperlich sehr anspruchsvollen Inszenierungen.

JJ: Apropos Kollegen. Manche, die in den USA studierten, berichten, dass es dort ganz anders zur Sache geht – und manche, dass sie in den Staaten auch nur mit Wasser kochen. Welche ganz persönlichen Erfahrungen hattest du in Frankreich 2018 während deines Erasmussemesters an der „École supérieure d’art dramatique Paris“ gemacht?

Lia: Das größte Geschenk war wohl, dass sich nichts von dem eingelöst hat, was ich mir vorgenommen hatte. Die Zusage kam sehr spontan und ich bin Hals über Kopf nach Frankreich gezogen, ohne Wohnmöglichkeit, ohne Anhaltspunkte und vor allem mit sehr geringen Sprachkenntnissen.

Die Erfahrung, als erwachsene Person eine fremde Sprache tatsächlich zu lernen, hat mich sehr berührt. Es war auch toll, nach dreieinhalb Jahren Studium noch einmal die Möglichkeit zu haben, eine ganz andere Institution kennenzulernen.

Daraus manifestierte sich schlußendlich die Erkenntnis, dass ich nach dieser Zeit außerhalb einer Institution arbeiten wollte. Alles sehr wertvolle Erkenntnisse. Mit Wasser kochen sie aber wirklich alle.

JJ: Lia, du bist sportlich unterwegs, habe ich gehört. Hilft dir das irgendwie beim Schauspiel? Die Körperlichkeit… die Kondition…

Lia: Definitiv. Ich bin der körperlichen Ausbildung, die ich aus meinem Studium an der HMT Rostock mitgenommen habe, sehr dankbar. In Paris habe ich schnell gelernt, wie viel eine Körperlichkeit wert sein kann, wenn einem auf einmal die Sprache fehlt.

JJ: Irgendwie stelle ich in jedem Interview eine Frage aus der Kategorie „Blöde Frage“; nicht weil ich das will, vielmehr stelle ich es im Nachinein fest. Warum nicht auch heute: In deinem „Über mich“ Video erzählst du nichts über dich (nicht direkt), treibst dafür reichlich Schabernack mit einer Matratze. Warum?

Lia: Als ich das about.me 2019 aufgenommen habe, hatte ich das Gefühl, dass es eine Seite von mir gibt, die in meinem Showreel so gut wie gar nicht vorkommt, mich als Menschen aber total ausmacht. Das ist der obengenannte Schabernack!

JJ: Lia, erzähle bitte mal über den Käfig, der ging, um einen Vogel zu suchen.

Lia von Blarer, Foto von Katrija Lehmann

Lia von Blarer,
Foto von Katrija Lehmann

Lia: Ui, das ist quasi ein wunder Punkt. „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ sollte ein interdisziplinärer Abend zwischen französischen Chansons und einer Kafka Lesung im Sommercasino Basel werden. Mit der Pianistin Alena Sojer habe ich bereits 2019 den Abend „Dichterliebe“ zu Robert und Clara Schumann gestaltet. Corona bedingt wurde der diesjährige Abend auf unbestimmt verschoben.

JJ: Und wenn wir einmal dabei sind: Was liegt schauspielerisch aktuell noch bei dir an und was mittelfristig?

Lia: (Ähm — Ja, Termine. Also! Gut..) Ich muss ehrlich gestehen, dass ich zur Zeit sehr schlecht darin bin, einen Überblick zu haben. Einfach, weil die aktuelle Lage so einen Transit-Charakter hat und sich meine Wahrnehmung dadurch verschiebt.

Ich drehe Ende Juni einen Kurzfilm in Basel, das weiß ich. Dann stehen Theaterarbeiten in Nancy an, aber ob die tatsächlich stattfinden werden, kann niemand so richtig sagen. Parallel arbeite ich an einem eigenen Stoff, das ist in diesem Falle allerdings Schreibarbeit, nicht unbedingt eine schauspielerische Tätigkeit.

JJ: Wenn die berüchtigte Fee daher käme, was würdest du dir wünschen; mit wem, wo, wen möchtest du in welchem Genre gerne spielen?

Lia: Weil sich so eine Frage nie gänzlich beantworten lässt, hier einfach mal eine gänzliche Antwort: Medea in einem filmischen Bühnenstück, das die Fragen des Frauseins mit Beauvoir’s Aussage „On ne naît pas femme: on le devient“ verknüpft und am Ende das Patriarchat mit all seinen tiefverwurzelten Strukturen in Flammen setzt.

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„Ich war die mit den dummen Ideen, den Mutproben und den WundTattoos.“

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JJ: Gibt es eine Schauspielerin oder einen Schauspieler (oder mehrere), die du immer wieder gerne siehst, die dich immer wieder faszinieren, egal ob hierzulande und heute – oder wo und wann auch immer?

Lia: Tilda Swinton.

Lia von Blarer, Foto von Katrija Lehmann

Lia von Blarer,
Foto von Katrija Lehmann

JJ: Zum Schluss auf Anfang. Warst du als Kind schon die Entertainerin, war beizeiten klar, dass du die Theaterbühnen und Kamerasets stürmen wirst?

Lia: Ich habe sehr viel Spielfreude durch Blödsinn gewonnen. Ich war die mit den dummen Ideen, den Mutproben und den WundTattoos. Aber auch die, die tagelang auf Bäumen Bücher gelesen hat.

Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich so viel in meinem Leben sein möchte, dass ich dafür Schauspielerin werden muss. Da hat sich dann diese Frage entschieden.

JJ: Danke, viel Erfolg, mehr Spaß und noch mehr Gesundheit!

Weitere Informationen: Lia auf der Webseite ihrer Agentur

Foto Startseite: Katrija Lehmann

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