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Claudia Funke hat in Kino- und Kurzfilmen die verschiedensten Charaktere gespielt, ebenso in Fernsehserien- und Filmen (Opa wird Papa; Pinocchio; Soko Leipzig; Spreewaldkrimi; Tatort; Die Stein). Zudem stand die junge Frau auf verschiedenen Theaterbühnen in Rollen, die alleine vom Namen her wie kleine Träume klingen – Cinderella oder Ronja Räubertochter beispielsweise.
Egal ob sie dabei verträumt, witzig, vornehm pikiert oder wie auch immer sein muss, beim Zuschauer kommt keine bemühte Schauspielerin an, sondern eine echte Figur. Ob Claudia selbst genau darin die Faszination ihres Berufes sieht, wovon sie träumt, was sie vor der Kamera oder auf der Bühne fühlt und was in jenen Momenten die Kollegen und das Publikum mit ihr machen, das erzählt sie uns. Höchstselbst, hier und jetzt:
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„Manchmal entsteht trotz aller Vorgaben auch etwas Neues, weil wir aufeinander reagieren, wir durchlässig sind und uns überraschen lassen. Das sind die tollen Momente“
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JJ: Claudia, worin besteht deine ganz persönliche Faszination Schauspiel? Warum schaust du anderen gerne zu (im Kino, im Fernsehsessel, im Theater)? Warum spielst du gerne?
Claudia Funke: Ich bin jedes Mal fasziniert, wenn ich komplett in diese andere Welt eintauchen kann. Egal ob ich Zuschauer bin oder selbst spiele. Wenn man alles andere um sich herum vergisst und wenn nur die Geschichte, die man gerade miterlebt, Bedeutung hat. Es ist immer ein bisschen so, als ob dann die Zeit still steht.
Ich liebe es, in andere Rollen zu schlüpfen, neue Leben zu kreieren, immer wieder andere Facetten zu entdecken und offen und neugierig zu bleiben, was daraus dann entsteht. Und ich liebe es, die Kamera zu spüren und zu wissen, dass jede noch so kleine Gefühlsregung eingefangen wird. Im Theater spüre ich das Licht auf meinem Gesicht, das beamt mich irgendwie in diese andere Welt und schafft den Abstand zum Publikum, dem Hier und Jetzt.
JJ: Was geht in dir vor, genau in jenen Momenten, in denen du in der Rolle bist, also nach dem „und bitte“ vor der Kamera oder nach deinem Stichwort auf der Bühne?
Claudia: Das ist von Rolle zu Rolle anders. Im Optimalfall denke ich gar nichts mehr, sondern reagiere in der jeweiligen Rolle, bin ganz in der Situation. Das hängt natürlich stark mit der Vorbereitung, der Stimmung am Set und meiner Verfassung zusammen. Wenn alles gut zusammenkommt, ist bei mir meistens in der ersten Sekunde nach dem „und bitte“ der Text weg. Dann bleibt mein Herz kurz vor Schreck stehen, zum Denken bleibt keine Zeit und dann läuft’s. 😉
JJ: Wer bist du in der Zeit – nur du, nur die Rolle, ein bisschen von beidem?
Claudia: Manche Rollen haben mehr, andere haben weniger von mir. Je nachdem wie nah oder wie entfernt mir die Rolle vom Typ her ist. Ich glaube aber, dass immer irgendwo ein Teil von mir dabei ist. Also ich bin immer präsent in der Situation und der Emotion der Rolle.
JJ: Was machen in jenen Momenten die Schauspielkollegen mit dir, wie wichtig sind sie für dein Spiel?
Claudia: Je authentischer und freier das Spiel der Kollegen ist, desto einfacher ist es natürlich auch für mich, emotional am überzeugendsten zu sein. Und das gilt umgekehrt genauso. Wir inspirieren uns gegenseitig. Manchmal entsteht trotz aller Vorgaben auch etwas Neues, weil wir aufeinander reagieren, wir durchlässig sind und uns überraschen lassen. Das sind die tollen Momente!
JJ: In meinen laienhaften Augen hast du am Theater schon Traumrollen gespielt – in Cinderella, Robin Hood, Der kleine Lord, Ronja Räubertochter… irgendwie könnte ich alle aufzählen. Empfindest du das selbst so, gibt es eine Inszenierung, die wirklich ein erfüllter Traum war, sind noch reichlich Träume übrig?
Claudia: Märchen zu spielen war schon als fünfjährige mein Traum. Ich wollte damals unbedingt Meerjungfrau werden, weil Disney’s „Arielle“ mein absoluter Lieblingsfilm war. Ich kann den Film jetzt noch mitsprechen 😉 Naja, irgendwann musste ich einsehen, dass das nicht so ganz einfach mit der „Meerjungfrau“ sein würde und so kam ich letztendlich zum Schauspiel. Arielle habe ich bisher leider noch nicht gespielt, das ist definitiv ein Traum, der noch übrig ist. Aber wer weiß, vielleicht klappt das ja noch 😉
Die Verfilmung von „Pinocchio“ war die Erfüllung einer meiner Träume. Ich durfte ja gleich zwei Rollen spielen: die Blaue Fee vor der Kamera und Pinocchio „dahinter“. Der kleine Holzbube wurde im Film animiert und ich habe zirka 40 Drehtage im Motion Capture Anzug verbracht, mit Helmkamera und lustigen Punkten in meinem Gesicht, damit all meine Bewegungen und Mimik aufgezeichnet werden konnten.
Im Gegensatz dazu war die Fee wunderschön zurechtgemacht, in märchenhaftem Kleid und Glitzer um mich herum. Zwei ganz unterschiedliche Aufgaben – ich habe es geliebt! Und so konnte ich auch mit so tollen und inspirierenden Schauspieler*innen wie Sandra Hüller, Inka Friedrich, Ulrich Tukur, Florian Lukas und Mario Adorf arbeiten. Wirklich ein unglaublicher Dreh.
Aber ehrlich gesagt haben mir alle Märchenrollen, die ich bisher gespielt habe, etwas bedeutet. Vor allem im Theater. Denn durch das Mitfiebern und die Reaktionen der kleinen Zuschauer bekommt man so viel Liebe zurück (also die Rolle) und das ist oft so herzergreifend, dass wirklich jedes Märchen ein erfüllendes Gefühl in mir hinterlassen hat.
JJ: Ich habe mal Fußball gespielt und natürlich politisch korrekt immer gesagt, dass ich die Position spiele, auf die der Trainer mich stellt und die gut für die Mannschaft ist; genauso politisch korrekt habe ich immer gesagt, dass ich mit allen Mannschaftskameraden super gerne zusammen spiele. Tatsächlich gab es für mich nur die eine Lieblingsposition und auch solche und solche Mitspieler. Wenn wir jetzt mal an Film und Fernsehen denken, spielst du irgendein Genre besonders gerne oder irgendeinen Rollentyp (die Geheimnisvolle, die verborgen Witzige… was auch immer)?
Claudia: Ich liebe historische Stoffe und würde unheimlich gerne in einem historischen Kostümfilm mitspielen, egal ob als Adelige oder Magd. Eine Rolle, die für Gerechtigkeit kämpft, in einem Moment zerbrechlich, im nächsten unberechenbar. Das macht dann auch das Geheimnisvolle aus.
Serien wie Downton Abbey, Land Girls, Mr. Selfridge, Babylon Berlin oder auch Ku’damm 56/59 haben es mir sehr angetan. Und ich liebe Fantasyfilme! Leider wird das in Deutschland nicht so wirklich gedreht, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf (und bin auch offen für den internationalen Markt 😉 )
JJ: Mich hat heute Vormittag beim Schauen einer Serie die Frage umgetrieben, ob für Schauspielerinnen die eindeutigen Rollen (die Heldin, die Böse) leichter zu spielen sind als die ein bisschen komplizierten, ein bisschen sympathischen oder ein bisschen unsympathischen Charaktere? Du kannst es mir sicher erzählen?
Claudia: Nein, ich glaube nicht, dass es unbedingt leichter zu spielen ist, wenn man nur „die Böse“ oder „die Gute“ spielt. Vielschichtige und komplexe Rollen sind nicht nur spannender als einfach gezeichnete Figuren, sondern in der Regel auch vollständigere Charaktere. Und eine gut geschriebene Figur muss Dinge nicht mehr einfach nur behaupten, sondern kann glaubwürdig agieren. Das ist für mich als Schauspielerin natürlich erfüllender und spannender und für das Publikum auch interessanter.
Ich liebe es, wenn ich eine Entwicklung spielen kann, wenn scheinbar widersprüchliche Wesenszüge auf einmal einen Sinn ergeben und sich das Bild zusammenfügt. (Und ich finde das auch gender-unabhängig zutreffend 😉 Den männlichen Kollegen geht’s bei einfacher gestrickten Rollen auch nicht anders.)
JJ: Wie war das bei dir, hat sich in deiner Kindheit schon abgezeichnet, dass aus dir eine professionelle Schauspielerin wird? Wann wusstest du, das ist EIN Beruf und wann, das ist DEIN Beruf?
Claudia: Ich war schon als Kind eine kleine Träumerin und habe mehr Zeit in meiner Phantasiewelt verbracht als in der realen. Ich wollte, wie vorhin schon erwähnt, gerne Meerjungfrau werden und ich war mir auch sicher, dass das geht.
Genauso sicher, wie die Tatsache, dass es Feen gibt. „Als das erste Baby zum ersten Mal gelacht hat, ist sein Lachen in tausend Stücke zerbrochen, die sausten durch die Luft und das war der Anfang der Feen“. Dieser Satz aus Peter Pan hat mich als Kind gepackt und meine Phantasie noch mehr beflügelt. Und bis heute bewahre ich mir diese Phantasie, diese Vorstellungskraft und nehme sie mit in meine Rollen und lasse sie „wahr werden“.
Dass Schauspiel wirklich ein Beruf ist, den man erlernen kann, wusste ich glaube ich erst als Teenager, als ich für eine Kinderrolle ans Stadttheater Koblenz kam. Da hat es „zoom“ gemacht und ich wusste, dass das genau mein Beruf ist und ich auf die Bühne gehöre.
Ich war damals ziemlich schüchtern und sehr zurückhaltend, aber im Theater bin ich aufgeblüht. Nirgendwo anders habe ich mich so wohl gefühlt!
Dass man explizit Filmschauspiel machen kann, war damals aber noch überhaupt nicht greifbar. Irgendwie dachte ich, dass man dafür auf der Bühne entdeckt werden muss.
JJ: Hattest du dann an der Schauspielschule eher das Gefühl „hier bin ich richtig“ oder eher „wo bin ich nur hin geraten“?
Claudia: Es hat sich – glaube ich – ganz gut die Waage gehalten. Grundsätzlich wusste ich, dass ich dort richtig war. Aber irgendwann gibt es wahrscheinlich an jeder Schauspielschule diesen gewissen Lagerkoller. Wenn man über Jahre in einer sehr kleinen Gruppe aufeinander hängt, immer wieder an seine Grenzen kommt und über sie hinausgeht, fragt sich, glaube ich, jeder früher oder später: „Wo bin ich da nur hin geraten?!“
Ich hatte eine wirklich tolle Kollegin in meinem Semester (wir sind jetzt noch beste Freundinnen), mit der ich über alles reden und auch irgendwie lachen konnte. Eine gesunde Portion Selbstironie und Humor hat, denke ich, einen guten Abstand mit hinein gebracht, denn wenn sich so viel um einen selbst dreht – und das tut es in dieser Ausbildung – ist es auch unglaublich wichtig, nicht alles so ernst zu nehmen.
JJ: Claudia, wenngleich es in meiner ganz persönlichen Wahrnehmung Unterschiede in der gestischen und noch mehr mimischen Darstellungsfähigkeit von Schauspielrinnen/Schauspielern gibt, mache ich den ganz großen Qualitätsunterschied im Sprechen aus. Manche sagen Texte auf – manche leben den Text. Wie siehst du das, was macht den Unterschied zwischen spielen>>> überzeugend spielen>>> wirklich sein?
Claudia: Authentizität. Du kannst minimalistisch spielen (sprechen) oder auch sehr groß und in beiden Fällen authentisch sein. Die Intensität hängt natürlich immer vom Stoff, vom Medium (Theater/Film) und von der Regie ab. Der Schlüssel zu überzeugendem Spiel ist immer die Glaubhaftigkeit.
Man kann das, glaube ich, nicht auf das Sprechen differenzieren – auch wenn es grandiose Synchronsprecher*innen gibt. Aber wenn man im Film oder im Theater ist, gehört ja alles dazu. Das „Papier raschelt nicht“, wenn man sich voll drauf einlässt, in die Rolle einzutauchen.
Der Grad zwischen „überzeugend spielen“ und „wirklich sein“ ist nicht einfach zu beschreiben. Ich bin ja immer noch ich, egal, wen oder was ich spiele. Aber in diesen magischen Momenten bin ich voll und ganz im Moment des Lebens der Figur und lasse es ganz nah an mich ran, öffne eine innere Tür oder so. Und ganz nüchtern: auf der anderen Seite gibt’s manchmal auch so sperrig geschriebene Dialoge, die man als Schauspieler*in nicht abändern darf, sodass man nicht unbedingt etwas dafür kann.
JJ: Was haben Filme, die dich nicht nur wahlweise vom Hocker hauen oder in den Sessel pressen, sondern an die sogar nach Jahren noch denkst beziehungsweise an die du in Jahrzehnten noch denken wirst (im Gegensatz zu mir kannst du ja jetzt noch nicht Jahrzehnte zurück blicken 😉 )?
Claudia: Ich glaube, das sind die Filme, in denen mich die Schauspieler*innen durch ihr authentisches Spiel so nah an das Schicksal der (Haupt-)Person heranbringen, dass mich das Gefühl einfängt und nicht mehr loslässt, weil es mich betrifft und ich mich damit identifizieren oder hineinversetzen kann. Sie schaffen es, mich mitzureißen und zu berühren, mich bis über den Abspann hinaus für die Figur mitfiebern zu lassen.
Sie berühren mein Herz und ich habe das Gefühl, ich bin dabei und in die Geschichte involviert – obwohl ich nur zusehe. Filme, bei denen ich vergesse, dass die Kamera dabei ist, über den Schauspielern Mikros hängen, im Off zahlreiche Teammitglieder und Scheinwerfer stehen und anschließend ein Color-Grading gemacht wurde 😉
JJ: Was liegt demnächst an, Claudia, was ist mittelfristig im Plan?
Claudia: Im Winter beginne ich mit den Dreharbeiten für die neue Sat1-Serie „Meine Klasse“, in der ich eine der beiden weiblichen Hauptrollen spiele. Darauf freue ich mich schon sehr und bin gespannt auf das Team und meine Kollegen. Parallel dazu bereite ich gerade gemeinsam mit lieben Kollegen und Freunden ein anderes Serienprojekt vor, das wir in den letzten Monaten zur „Serienreife“ entwickelt haben.
Wir haben bereits mit den ersten Aufnahmen begonnen. Allerdings wird es da noch ein wenig dauern, bis die Folgen „binge-fertig“ sind, denn die Geschichte spielt in den 50er Jahren und das macht es doch etwas aufwendiger. Es ist auf jeden Fall ein Herzensprojekt und ich freue mich sehr darauf!
JJ: Danke.
Weitere Informationen: Webseite von Claudia
Foto Startseite: Jessica Meier