Nikolai Will alles spielen

 

Nikolai Will; Foto (c) Daniel Dornhöfer

Nikolai Will;
Foto (c) Daniel Dornhöfer

Über den Schauspieler Nikolai Will hatte ich im Jahr 2016 schon mal berichtet. Seitdem ist viel Wasser die Werra und den Rhein herunter geflossen. Viele Menschen sind den Jakobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela gelaufen, manche Pfunde sind gepurzelt und die eine oder andere Anekdote wurde erzählt.

Und Nikolai mittendrin. Nicht in der Werra und nicht im Rhein, aber ansonsten schon. Wie er die 800 Kilometer über den Pilgerweg erlebte, wie er sich als ranker, schlanker und smarter Typ fühlt, wie seine „Anekdoten aus meinem tragischen Leben“ entstanden und wie es schauspielerisch weiter gehen soll, erzählt er uns. Hier und jetzt:

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„Ich hoffe, man erkennt, dass ich immer noch ALLES spielen, beziehungsweise jetzt zusätzlich den smarten Typen verkörpern kann…“

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JJ: Nikolai, bevor wir in medias res gehen, erstmal allgemein zweieinhalb meiner Standardfragen: 1. Beschreibe bitte mal eben deine ganz persönliche Faszination Schauspiel, wenn du zuschaust und wenn du selbst spielst.

Nikolai Will: Ein guter Schauspieler (ich bleibe der Einfachheit halber bei der männlichen Form) schafft es, mich vergessen zu lassen, dass ich ihm beim Spielen zuschaue. Und ich wiederum lasse mich im besten Falle auch nicht beim Spiel erwischen. Ganz in einen Charakter eintauchen zu können, sich zu verwandeln, ist für mich immer der größte Reiz. Leider sind diese Chancen/Möglichkeiten sehr rar vorhanden.

JJ: Was geht in den entscheidenden Momenten auf der Bühne oder vor der Kamera in dir vor, was denkst, fühlst, spürst du, wer bist du?

Nikolai Will; Foto (c) Daniel Dornhöfer

Nikolai Will;
Foto (c) Daniel Dornhöfer

Nikolai: Im allerbesten Falle vergesse ich mich und meine persönlichen Probleme und bin für den Moment jemand anders, was bei mir stimmlich vor allem sehr frappierend ist. Ich klinge privat völlig anders als vor der Kamera.

Was sicherlich viele Kollegen vor allem auf der Bühne kennen: Dass man seine Grippe, den verstauchten Fuß oder welches Wehwehchen man gerade hat, vollkommen auf der Bühne vergisst und gar nicht mehr spürt, aber sobald der Druck nach dem Applaus abgefallen ist, taucht der Schmerz wieder auf.

JJ: Und daran anschließend: Was machen in jenen Momenten deine Kolleginnen und Kollegen mit dir, beeinflussen sie dich?

Nikolai: Ein guter Schauspieler sollte vor allem zuhören können und praktisch unter ständiger Beeinflussung seines hoffentlich großartigen Kollegen stehen. Schön ist es, überrascht zu werden, wenn sich etwas vollkommen Ungeplantes entwickelt. Das sind ganz seltene, kostbare Geschenke.

JJ: Wie definierst du für dich ganz persönlich Humor, Nikolai?

Nikolai: Zuallererst über sich selbst lachen zu können und die Gabe zu haben, die vielen komischen Momente im Alltag auch erkennen zu können.

JJ: Deine „Anekdoten aus meinem tragischen Leben“ verfolgte ich zunächst im geschriebenen Wort auf Facebook und seit einigen Wochen auch im bewegten Bild und gesprochenen Wort. Bringe die Entwicklung der Dinge bitte mal in eine chronologische Reihenfolge. Und: War gleich der Gesamtplan da oder kam eins zum anderen?

Nikolai: Die Anekdoten sind aus purer Verzweiflung entstanden. Ich saß im Kino in einer Komödie mit Veronika Ferres; hinter mir drei alte Damen, die sich über Ihrer Einkäufe unterhalten haben und ich fragte mich, wie es dazu gekommen ist, dass ich in diesem grauenhaften Film sitze. Und so habe ich etwas getan, was ich eigentlich nie tun würde und zwar während des Films mein Handy eingeschaltet und unter dem Titel „Anekdoten aus meinem tragischen Leben“ genau das niedergeschrieben: wie es mir gerade ergeht.

Einen Gesamtplan gab es nie. Allerdings entstand plötzlich eine Kreativität und ich überraschte mich selbst damit, gut und knapp pointierte, kurze Geschichten erzählen zu können, die manchmal wahr, oft gelogen, aber immer mit einem Körnchen Wahrheit versehen sind. Bei meinen besten Geschichten fiel mir auf, da steckt Potenzial für eine komische Figur darin und so fiel mir diese sophisticated Version meiner selbst ein, welche in Manier eines großen Filmstars über meine Misserfolge spricht.

Nikolai Will; Foto (c) Daniel Dornhöfer

Nikolai Will;
Foto (c) Daniel Dornhöfer

Mit Tobias Freyer fand ich schließlich in Hannover einen Filmemacher, welcher gleich etwas mit meinem Humor anfangen konnte und der eine grandiose bildliche Umsetzung der Geschichten fand. In zwei Tagen konnten wir 26 Folgen abdrehen. Ich will natürlich immer etwas mit meinen Folgen sagen, aber das darf manchmal eben auch total um die Ecke gedachter Unsinn sein. Die Ankedoten sind ein bisschen wie die wirren Fieberträume eines gescheiterten Schauspielers mit Pointe.

JJ: Bekommst du Feedback, wie sieht es aus, was macht es mit dir?

Nikolai: Ja, ich bekomme bemerkenswertes Feedback, von dem man im Profil gar nicht so viel mitbekommt beziehungsweise was sich nicht an den Likezahlen/Kommentaren bemisst, aber ich werde sehr regelmäßig von Menschen angeschrieben, die diese Geschichten sehr feiern und immer öfter spricht man mich auf Festivals darauf an. Diese Geschichten sind gewissermaßen auch eine Form von Marketing und sollen mir ein bisschen ein Branding als der „komische Typ“ geben.

Komödie ist das, was ich machen will, ich liebe es, Menschen zum Lachen zu bringen, für einen kleinen Schmunzler am Morgen sorgen zu können. Gleichzeitg sehe ich diese Geschichten auch als Gegenbewegung zu den gelackten, perfekten Facebook-Meldungen/Instagram-Fotos. Man kann auch über schwere Zeiten reden, wenn man es angenehm zu verpacken weiß.

JJ: Nikolai, du hast dich – verglichen mit 2016 – optisch verändert, also äußerlich. Auch innerlich?

Nikolai: Äußerlich habe ich mich sehr verändert und die Reise ist noch nicht zu Ende, innerlich muss ich noch ein wenig nachreifen. Meine Ausstrahlung wächst natürlich, je mehr ich mich in meinem Körper zu Hause fühle und ich bin einfach gesund, habe keinerlei gesundheitliche Beschwerden, das war mit 112 Kilo bei Weitem nicht so.

JJ: Hat das Ganze etwas mit deinem Gang über den Jakobsweg (2017) zu tun? Hat die Zeit Denkprozesse angestoßen, dich verändert. Wenn ja, hast du das Gefühl, das hat etwas speziell mit dem Mythos dieser Strecke zu tun – oder kann auch eine Wanderung von Cottbus nach Lüdenscheid ähnliches bewirken?

Nikolai: Ja der Weg hat viel in Gang gesetzt, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung. Vor allem hat er mir zwei Dinge gezeigt: Ich kann nur mit meinem Willen Unglaubliches schaffen, wenn ich es mit ganzem Herzen möchte.

Und zweitens, dass es wichtig ist für einen Menschen, eine Aufgabe zu haben. Diese Aufgabe kann die schlichteste der Welt sein, aber alleine die Tatsache zu wissen: Heute geht es für mich von Punkt A nach Punkt B und wenn ich dort angekommen bin, ist mein Tagewerk geschafft, war eine wunderbare Erfahrung. Vielleicht doch noch ein dritter Punkt: Kein materieller Wert ist mit so einer Reise aufwiegbar. Die Gedanken und das, was man im Herzen davon mitgenommen hat, sind unbezahlbar!

Nikolai Will; Foto (c) Daniel Dornhöfer

Nikolai Will;
Foto (c) Daniel Dornhöfer

JJ: Du hast in der Vergangenheit beispielsweise den dicken Wirt in der Salzprinzessin gespielt oder auch Comedy-Rollen basierten auf eine etwas fülligere Figur. Ist dir mit diesem Rollentyp jetzt die Chance auf Engagements weggebrochen oder verkörperst du nun einfach den smarten Privatdetektiv, Geschäftsmann… was auch immer?

Nikolai: Ich hoffe, man erkennt, dass ich immer noch ALLES spielen, beziehungsweise jetzt zusätzlich den smarten Typen verkörpern kann. Mein Portfolio hat sich definitiv erweitert und ich hoffe, dass das auch bald wieder die Caster erkennen.

JJ: Weil ich ein unverbesserlicher Träumer bin, frage ich Schauspieler gerne nach ihren beruflichen Träumen. Hast du welche, wie sehen sie aus? Als was oder wen, mit wem, in welchem Genre, mit welchem Regisseur würdest du dich selbst besetzen, Nikolai?

Nikolai: Erstmal sind meine Träume sehr kurzgefasst. Ich möchte nächstes Jahr wieder spüren, dass die Branche mich braucht, Lust auf mich hat, mir etwas zutraut. Sonja Heiss, Max Gleschinski, Christian Schwochow, Oliver Kienle, Oliver Haffner, Philipp Eichholtz; Adolfo J. Komerer, Jakob Lass und Sebastian Brauneis wären Regisseure, welche ich – bis auf Christian und Adolfo – persönlich kennenlernen durfte und die sich alle dadurch auszeichnen, Schauspieler extrem gut in Szene setzen zu können und Geschichten zu erzählen, die nicht die üblichen Konventionen bedienen, sie teilweise sogar auf originellste Art und Weise sprengen.

JJ: Was liegt demnächst beruflich an?

Nikolai: Viele eigene Projekte, welche ich hoffentlich alle gemacht bekomme, weshalb heute ein konkreter Plan geschmiedet wird.

JJ: Danke.

Nikolai Will; Foto (c) Daniel Dornhöfer

Nikolai Will;
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Weitere Informationen: Webseite von Nikolai oder Nikolai auf facebook

Foto Startseite: Daniel Dornhöfer

Ein Kommentar:

  1. Ein wirklich bemerkenswertes Interview, sowohl von der Seite des Fragestellers als auch vom Künstler selbst.

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