Einfach im Moment

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Muriel Bielenberg beendete gerade ihr Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und startet jetzt ins Berufsleben. Sie wirkte in Fernsehserien wie „Inga Lindström“, „Die jungen Ärzte“, „Heldt“ oder „Lindenstraße“ mit und spielte an mehreren Hamburger Theatern, zum Beispiel die Clarice in „Der Diener zweier Herren“.

Zudem sprach und spricht die Hamburgerin, die als Kind auch in den USA und Frankreich lebte, Hörbücher und Hörspiele. Darüber erzählt sie uns – und über die Faszination Schauspiel:

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„Mich fesseln Momente, in denen ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll“

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JJ: Muriel, in den letzten Wochen und Monaten habe ich mit einigen Hamburger Jungs gesprochen, die fasziniert sind von ihrer Stadt. Bist du ein Hamburger Mädchen? Egal ob ja oder nein, was magst du an Hamburg? Gibt’s beispielsweise Lieblingsecken, eine persönliche Anekdote?

Muriel Bielenberg: Ich bin schon eine richtige Hamburgerin: ich liebe Franzbrötchen! Hahaha, ich fühle mich hier wirklich sehr wohl. Ich liebe das Norddeutsche, die Elbe, den Wind und die Menschen hier.

Muriel Bielenberg, Foto von Jeanne Degraa

Muriel Bielenberg,
Foto von Jeanne Degraa

Trotzdem zieht es mich immer wieder raus. Ich würde sofort umziehen und eine neue Stadt ausprobieren, wenn es sich ergibt. Ich mag es, in eine neue Umgebung einzutauchen, wenn alles anders und ungewohnt um mich herum ist.

Nach dem Abitur, das ich in Hamburg gemacht habe, bin ich direkt mit 17 weggezogen und war für zwei Jahre in Bochum. Dort habe ich ein einjähriges intensives Theaterprojekt gemacht und war dann später an den Schauspielschulen in ganz Deutschland vorsprechen. Ich wollte dafür unbedingt in eine neue Stadt und wo wurde ich dann genommen? Natürlich wieder in Hamburg…

Die Stadt ruft mich einfach immer wieder zurück. Und mein Lieblingsort in Hamburg… hmm… ich treibe mich sehr viel in den beiden großen Theatern und den vielen kleinen Programmkinos herum, also eigentlich immer, wenn ich Zeit habe.

JJ: Und erzähle bitte mal ein bisschen über Toulouse und San Diego, einfach munter drauf los, was dir einfällt.

Muriel: In San Diego war ich mit so ungefähr vier Jahren und bin dort in einen amerikanischen Kindergarten gegangen. Wenn wir länger dort geblieben wären, wäre ich vermutlich richtig amerikanisch geworden… in dem Alter geht ja alles ganz schnell. Meine Erinnerungen an die Zeit beinhalten fast hauptsächlich den Kindergarten, den Spielplatz und die Bücherhalle.

Als ich vor einigen Jahren mal wieder dort war, konnte ich es kaum glauben, wie schön die Aussicht und das Meer und der Strand dort sind. Ich habe das damals einfach gar nicht wahrgenommen.

In Toulouse bin ich zur Grundschule gegangen und habe meine Liebe zu dem Land und der Sprache entdeckt. Da waren wir etwas länger, aber leider auch nicht lang genug, um sehr gut in der Sprache zu werden, beziehungsweise alles nach dem Umzug zu behalten.

Meine Eltern haben es geschafft, mich bis zu meinem achten Lebensjahr glauben zu lassen, dass es Computerspiele nur auf Englisch gibt, so habe ich damit weiter Englisch geübt. Eines Nachmittags kam ich total aufgeregt nach Hause, weil ich gesehen hatte, dass es in Deutschland jetzt auch Computerspiele gibt, auf Deutsch! Meine Eltern nickten und lächelten und von da an hat der Plan mit dem Lernen dann nicht mehr so gut funktioniert.

Nach längerer Zeit an einem Ort habe ich immer noch das Bedürfnis, mal wieder umzuziehen. Ich verbinde also meine Kindheit und mein Zuhause nicht so stark mit einem bestimmten Ort, sondern einfach mit meiner Familie.

JJ: Du scheinst sehr sportlich unterwegs zu sein, hast mal eine Circusschule besucht; steckt das in dir, was gibt dir körperliche Aktivität? Und: Wirken sich Sportlichkeit, Fitness, Akrobatik oder Tanz förderlich aufs Schauspiel aus, egal ob indirekt oder direkt?

Muriel: Ja, ich war sehr lange hier in einer Circusschule in Hamburg. Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, ich war dreimal die Woche dort. Wir haben vor allem nicht nur die einzelnen Disziplinen, also Akrobatik, Einrad und Jonglage trainiert, sondern halbjährig ein Stück mit einer Geschichte entwickelt und im Circuszelt aufgeführt.

Da wollte ich schon immer unbedingt eine der Sprechrollen übernehmen. Auf der Bühne zu stehen hat mich da schon fasziniert! Auch die ganze Atmosphäre drumherum, hinter der Bühne mit dem Team, in der Vorbereitung das Ziel vor Augen. Das hat etwas total Magisches.

Ich glaube, für das Schauspiel muss ich meinen Körper unbedingt sehr gut kennen und benutzen können. Mein Körper muss mir gehorchen und von einem auf den anderen Moment Höchstleistung geben können. Gerade auf der Bühne ist eine gute Kondition wichtig. Sport hilft mir abzuschalten und einfach mal nicht nachzudenken.

JJ: Warst du als Kind schon die Performerin, hast keine Bühne (auch improvisierte) ausgelassen?

Muriel: Hmm… also ich war eher ein ruhiges Kind und habe alles um mich herum genau beobachtet. Trotzdem habe ich schon während der Grundschule in einer Kindertheatergruppe in einem kleinen Theater in Hamburg gespielt, da wollte ich unbedingt immer die Bösen spielen!

Muriel Bielenberg, Foto von Jeanne Degraa

Muriel Bielenberg,
Foto von Jeanne Degraa

Außerdem habe ich jede freie Minute genutzt, um mir etwas auszudenken und aufzuführen. Mit meiner Freundin spielte ich Märchen und Kinderfilme nach. Wir übten alles einen Tag lang ein, dann stellten wir Stühle auf, bastelten Eintrittskarten, Programmhefte, Plakate, alles was uns einfiel und dann mussten Familie und Freunde zugucken kommen, manchmal ging das ewig. Später habe ich angefangen, mit Freunden Kurzfilme zu schreiben und zu drehen.

JJ: Entstand der „ich werde Schauspielerin“ Gedanke in dir eher peu à peu, eher plötzlich oder war er gar keine Frage?

Muriel: Ich wollte das tatsächlich schon sehr, sehr früh. Direkt so mit sieben oder acht, davor wollte ich noch kurz Blumenverkäuferin werden. Zumindest haben wie im Kindergarten von einem gemeinsamen Geschäft geträumt. Es hat dann noch meine ganze Schulzeit gedauert, bis ich den Wunsch, Schauspielerin zu werden, auch wirklich ausgesprochen habe.

JJ: Was fasziniert dich am Schauspiel, wenn du zuschaust, wenn du selbst spielst?

Muriel: Wenn Schauspieler es schaffen, mich zu berühren, in mir etwas auszulösen, das ist unbeschreiblich! Wenn ich wirklich in dem Moment bin und bei der Figur und nicht darüber nachdenke, was ich nach der Vorstellung noch alles zu tun habe. Wenn ich selbst spiele ist es das Gleiche, wenn ich merke es stimmt alles, es passiert einfach und die Zuschauer sind total dabei. Das spürt man einfach.

JJ: Ich lege mal eben vor: Ich würde Robin Hood oder Wilhelm Tell am Theater spielen wollen. Wir nehmen jetzt einfach an, du darfst dich selbst besetzen; wen, mit wem, in welchem Genre spielst du dann?

Muriel: Das ist eine schwierige Frage. Ich kann keine konkrete Figur benennen, da diese ja auch von der Konstellation und der Inszenierung abhängt und sich mit ihr verändert. Arbeiten will ich auf jeden Fall gerne mit jemandem, der/die eine Vision hat der/die weiß, warum er/sie das Stück inszeniert und was er/sie erzählen möchte.

Dann ist es vielleicht gerade spannend, wenn es ein Stück ist, an das ich vorher noch gar nicht so gedacht habe. Und dann geht der Prozess ja erst los, wir entwickeln die Figuren, diskutieren und probieren. Vielleicht stoße ich noch auf die eine Rolle, die ich unbedingt mal spielen will, ich bin gespannt.

JJ: Gehen wir mal mitten rein in die Materie, Muriel; in den Momenten – egal ob Bühne oder Kamera – in denen du hinein darfst in eine Figur (die dir nah oder fern ist); was fühlst, spürst oder denkst du; wer bist du?

Muriel: Im Prinzip bleibe ich natürlich immer ich selbst. Ich habe ja nur meinen Körper zur Verfügung, den versuche ich dann mit dieser anderen Figur aufzufüllen. So zu denken und zu handeln, wie es diese Figur tun würde. Gerade, wenn ich gar nicht so denke wie die Figur, ist das sehr spannend, für mich selbst einen plausiblen Weg zu finden, es genauso zu tun und zu vertreten.

Im besten Fall habe ich mir die Figur so angeeignet, dass ich nicht mehr nachdenken muss, was würde sie jetzt tun, sondern ich reagiere einfach. Ich bin einfach in dem Moment. Dann bin ich frei, und das macht richtig Spaß!

JJ: Was machen in jenen Momenten die Schauspielkollegen/Kolleginnen mit dir, wie beeinflussen sie dein Spiel? Wie beeinflussen Publikum oder deine Tagesform dein Spiel ?

Muriel: Die Kollegen sind für mich natürlich essentiell. Trotzdem muss ich zuerst bei mir selbst beginnen. Das Wichtigste ist immer meine Figur, zu der ich erstmal alleine finden muss. Dann ist da aber immer noch keine Geschichte. Die entsteht erst durch meine Kollegen/Kolleginnen.

Das sind die Menschen, die mit mir behaupten, dass das gerade wahr ist, was wir tun. Wir beeinflussen uns gegenseitig beim Spiel, immer, das ist sehr wichtig, da wir aufeinander reagieren. Ich kann ja nicht immer dasselbe spielen, obwohl mein Partner an dem Tag die Stelle total anders macht als sonst.

Auch das Publikum und die Tagesform beeinflussen mich. Das können ganz kleine Nuancen sein und die sind sehr entscheidend für eine Lebendigkeit im Spiel. Das ist gerade das Tolle am Theater: jeden Abend wird es ein kleines bisschen anders sein als am Abend zuvor.

JJ: Muriel, bei deinem Auftritt in „Heldt“ im Jahr 2016 fand ich einerseits die freche, spontane Figur der Tabea Marquard sehr erfrischend und gleichwohl deine Darstellung authentisch. Ich denke, der Dreh hat dir so richtig Spaß gemacht. Ist das so – oder ist gerade diese Lockerheit Arbeit, Arbeit, Arbeit?

Muriel: Ja, das stimmt, ich hatte sehr viel Spaß bei dem Dreh. Lockerheit kann auch sehr viel Arbeit sein, aber bei diesem Dreh war die Stimmung sehr entspannt und ich konnte einfach loslegen.

Angespannt war ich eher, als ich hörte, ich muss Auto fahren. Ich hatte nämlich zu der Zeit meinen Führerschein noch nicht so lange und bin eigentlich auch nie gefahren, da ich kein Auto besitze. Und dann sollte ich also schnell Einparken und an einem Fahrradfahrer vorbei rasen, da war ich dann schon etwas angespannt. Üben konnte ich das ja auch nicht wirklich vorher, aber es hat zum Glück alles geklappt. Ich habe nichts und niemanden umgefahren und schließlich hat es sogar richtig Spaß gemacht.

JJ: Was hat ein Film, der dich wahlweise vom Hocker haut oder in den Fernseh- oder Kinosessel presst? Gerne am Beispiel.

Muriel: So ein Film hat eine Geschichte, die etwas vom Menschsein erzählt. Mich fesseln Momente, in denen ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll: Figuren, die für etwas kämpfen, aber immer wieder scheitern, kluge Dialoge, widersprüchliche Charaktere. Der Film muss mich bewegen.

Muriel Bielenberg, Foto von Jeanne Degraa

Muriel Bielenberg,
Foto von Jeanne Degraa

Sehr beeindruckt hat mich „Roma“ von Alfonso Cuarón und „Wildlife“ von Paul Dano. Beide Filme habe ich kürzlich auf dem Filmfest Hamburg gesehen. Großartig finde ich auch „The Square“ von Ruben Östlund. Ich könnte die Liste noch viel, viel weiterführen, natürlich auch mit tollen Klassikern von Hitchcock oder Truffaut zum Beispiel.

JJ: Und zu guter Letzt: Was liegt demnächst schauspielerisch bei dir an, worauf dürfen wir uns freuen?

Muriel: Als Nächstes dürft ihr euch auf etwas zum Hören freuen! Einmal „Hazel Wood“, ein sehr schöner Roman für Jugendliche und junge Erwachsene. Das Hörbuch habe ich komplett gesprochen, es gibt es schon zu kaufen und eignet sich hervorragend als Weihnachtsgeschenk. 🙂

Und jetzt habe ich gerade „Ferien auf Saltkrokan“ von Astrid Lindgren eingelesen. Dieses Hörbuch kommt dann im Frühjahr in den Handel. Ansonsten kann ich nur so viel sagen, dass ein Kinofilm in Planung ist, bei dem ich die Hauptrolle übernehmen darf. Mehr dazu hoffentlich 2019.

JJ: Danke.

Weitere Informationen: Muriels Profil auf der Webseite ihrer Agentur

Foto Startseite: Jeanne Degraa

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