Der Hürdenlauf und eine Brücke voller Aale

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Die Schauspielerin Corinna Bergmann lebt jetzt in Berlin, ihre Kindheit indes verbachte sie in der Hansestadt Bremen sowie im norddeutschen Achim. „Bremen ist ein Dorf mit Straßenbahn, hab ich früher immer gesagt“ blickt sie mit Erwachsenenaugen zurück in bewegte Kindheits- und Jugendjahre, „die Straßenbahn ist dort sehr präsent, mit der kommt man überall hin. Es sind auch überall die Schienen, auf fast jeder größeren Straße und man muss höllisch aufpassen, dass man mit den Fahrradreifen da nicht hängen bleibt. Mit dem Fahrrad ist man in Bremen noch schneller als mit der Straßenbahn. Einmal bin ich mit dem Vorderreifen in die Schienen geraten und habe einen super Stunt hingelegt.“

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Einmal im Flow, plaudert Corinna munter weiter: „Man kannte auch immer jemanden, der jemanden kannte. Und wenn man was gemacht hatte, worüber sich reden ließ, dann machte es die Runde und kam unter Garantie zurück, nur meistens anders, als es sich zugetragen hatte.“

„An sich ist Bremen schon toll“, schwärmt die 1,78 m Frau mit den blauen Augen, „ich habe einige Freunde, die heute noch da wohnen und ich komme sie gerne besuchen. Öfter als zweimal im Jahr schaffe ich es meist nicht, aber es gibt da immer ein Plätzchen für mich auf der einen oder anderen Couch – und das ist dann schon Heimat. Es gibt, glaube ich, mittlerweile mehr Lokale im Viertel als Anwohner.“

Bevor Corinna uns einige Fragen zum Schauspiel beantwortet, wirft sie noch mal eben einen Blick zurück in verrückte Kindheits-Zeiten: „Meine Großeltern hatten eine Parzelle im Kleingärtnerverein am Ende der Wehrbrücke. Ich bin da als Kind also häufig rüber, um meine Großeltern zu besuchen und hatte immer großen Respekt vor den Wassermassen, es war irre laut und manchmal sah ich große Aale im Wasser rumspringen. Ich hatte da so einen Alptraum, dass die Aale auf die Brücke springen und ich nicht mehr ans andere Ufer komme, denn der Weg ist ganz schön lang über diese Brücke. Das fiel mir grad so ein, wenn ich jetzt so anfange, über Bremen nachzudenken…“

Und nun zum Thema. Nur hier, nur jetzt:

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„Schauspiel war schon immer mein Plan A, nur eher ein Hürdenlauf, denn ein Sprint“

 

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JJ: Corinna, bevor wir so richtig in medias res gehen: wenn du tanzt, egal wo, was passiert in dir, was fühlst, spürst, denkst du? Oder gar nichts von dem, schaltest du vielleicht komplett ab und deshalb bist du so tanzfreudig?

Corinna Bergmann: Das ist ja irre. Woher weißt du, dass ich so leidenschaftlich gerne tanze? Wenn ich Musik höre, hat mein Körper das Bedürfnis da mitzugehen. Es ist lediglich mein Verstand, der mich oft zurück hält. In meinen Zwanzigern habe ich noch in der Bar auf der Theke getanzt, aber so mit den Jahren habe ich mich besser im Griff.

Tanzen ist ein Gefühl von Freiheit, von unbeschwertem Vergessen, einfach nur da sein im Moment, den Impulsen folgen. Frei sein, Gefühle loslassen bis zum Durchdrehen, auch abreagieren. Ich habe ein großes Bedürfnis nach Freiheit. Vielleicht, weil ich dem nie so nachgeben durfte. Vielleicht auch, weil ich vom Sternzeichen Schütze (Vollschütze, auch im Aszendenten) bin, und denen sagt man ein Freiheitsbedürfnis nach.

JJ: In deiner Vita lese ich sehr viel von Schauspielworkshops,- trainings,- studium. Dazu 2. Staatsexamen Jura und auch in den 90ern Au Pair in den USA. Erstens: Ist es wichtig für eine Schauspielerin ins richtige (Berufs)-Leben rein geschnuppert zu haben? Zweitens: War/ist Schauspielerin schon immer und ununterbrochen dein Plan A?

Corinna: Puuh. Da kann ich insgesamt nicht kurz drauf antworten. Ich bin ein Arbeiter, glaube ich. Ob das gut ist? Ich weiß es nicht. Es hat mich jedenfalls zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Das Leben ist sehr vielschichtig, der Mensch ein hochkompliziertes Wesen und je mehr er erlebt hat, je komplexer wird er.

Ich bin sehr reich an Erfahrungen, kann ich sagen. Und ja, Schauspiel war schon immer mein Plan A, nur eher ein Hürdenlauf, denn ein Sprint. Um das zu beantworten, muss ich etwas ausholen.

Corinna Bergmann, Foto (c) Oliver Nötzel

Corinna Bergmann,
Foto (c) Oliver Nötzel

Mir war, seit ich fünf oder sechs Jahre alt war klar, dass ich Schauspielerin sein möchte. Ich durfte zuhause viel fernsehen und habe Sendereihen wie „Lucy, der Schrecken der Straße“, „Western von gestern“, „Ferien auf Saltkrokan“ oder „Kalle Blomquist“ in mich aufgesogen. Mein größtes Vorbild war Pippi Langstrumpf, nicht weil sie so außergewöhnliche Dinge konnte, sondern weil mich ihre Unbekümmertheit, ihr Mut und die Art wie sie dies spielte, faszinierte. Ich wollte so spielen wie sie.

Ich habe später auch freiwillig gerne gelesen und im Abitur Deutsch als Leistungskurs gewählt, da mich die deutsche Sprache – und Literatur überhaupt – interessierte. Wiedergefunden habe ich mich in dem Buch „Tonio Kröger“ von Thomas Mann. Eine Figur, hin- und hergerissen zwischen den Welten. Das Leben als ewiger Gegensatz dem Geiste und der Kunst gegenüber.

Leider gab es an meinen Schulen nie eine Theater AG, da war ich immer neidisch, wenn ich von anderen hörte. Daher habe ich mit knapp 16 in einer Laienspielgruppe angefangen und später dann Jugendclubtheater vom Schauspielhaus. Dort wurde eine tolle Jugendarbeit geleistet, von Stückanalyse (noch mit Ilja Richter) über Improtheater zu Regieübungen.

Ich denke, schlussendlich war die Angepasstheit mein Problem, trotz aller Verrücktheit, die ich mitbrachte. Nach meinem ersten erfolglosen Vorsprechen an der Schauspielschule (Folkwang in Essen) sagte mein Vater zu mir: „Wenn die sagen, dass du das nicht kannst, dann kannst du das auch nicht. Jedes weitere Vorsprechen ist jetzt verschwendete Zeit und verschwendetes Geld.“ Also bin ich zu keinem weiteren Vorsprechen hingegangen, obwohl ich mich überall angemeldet hatte.

Stattdessen habe ich mich ohne das Wissen meiner Eltern für ein AuPair Programm angemeldet und bin nach dem Abitur auch ohne deren Segen ein Jahr ins Ausland. Das war rückblickend die beste Entscheidung, die ich zu der Zeit getroffen habe. Ich bin innerlich gestärkt zurückgekehrt, bin sogar mein allergisches Asthma, das mich in meiner Pubertät begleitete, losgeworden.

Allerdings wollte ich mir in dieser Zeit überlegt haben, was ich statt der Schauspielerei machen wollte. Dazu fiel mir aber leider nichts ein und mein Weg führte mich danach widerstandslos wieder in mein Elternhaus. Mein Vater hatte schon eine Liste der brotlosen Künste zusammengetragen (eigentlich alles, was mich ansatzweise interessierte) und empfahl mir dringend ein Studium der Wirtschaftswissenschaften, mit dem man erfolgreich ins Berufsleben starten könnte.

Mein einziger Widerstand war die akzeptierte Wahl vom Studium der Rechtswissenschaften, da ich mir einbildete, das könnte eventuell etwas mit Gerechtigkeit zu tun haben. Ich merkte allerdings sehr schnell, dass dies so nicht stimmte und das Studium ließ sich bereits qualvoll an.

Es gab einen Moment des Erwachens, als ich den Film „Kleine Haie“ im Kino sah. Als Jürgen Vogel eigentlich nur diesen Barhocker in der Folkwang Hochschule abgeben wollte und durch seinen Auftritt direkt eine Runde weiter im Aufnahmeverfahren war. Mir wurde klar, dass ich niemals zu schlecht für Schauspiel war. Ich wusste, dass ich dran bleiben musste, da ich sonst nie glücklich werden kann.

Ich bin also erstmal von Zuhause ausgezogen und anschließend habe ich an fünf staatlichen Schauspielschulen nochmal vorgesprochen. Leider sagten sie mir in Bochum und Hamburg direkt, ich sei „zu alt“, obwohl mein Spiel überzeugend sei, man müsse mich an das Theater loswerden können nach den vier Jahren Ausbildungszeit und ich wirke zu reif; wäre ich vor zwei Jahren gekommen, hätte man mich genommen. Eine Ausbilderin sagte: „Gehen Sie an die Private, ich halte sie für sehr talentiert.“

In Frankfurt sagte man, es sei sehr gut, was ich vorgespielt hätte, aber ich sei kein dringender Fall. „Sie können auch andere Dinge tun“, hieß es. Diese Aussage hat mich lange beschäftigt. Was meinten sie damit, sie kommen auch anders klar? Muss ein Schauspielschüler eine menschlich komplett gescheiterte Existenz sein, ein totaler Freak?

Ich denke, man sah mir meine innere Zerrissenheit, mein inneres Leid, nie an. Ich wirkte immer stark, überlegen. Ich bin mit 1,78 m auch körperlich groß. Ich habe damit nie zierlich gewirkt, obwohl ich immer schlank war. Ein Vorsprechen an der privaten Schauspielschule kam für mich jedenfalls nicht in Frage. Das hätte keiner unterstützt bei mir. Mein Vater hätte gesagt: „Was, dafür sollst du auch noch Geld bezahlen? Ist ja klar, dass sie dich nehmen, wenn du Ihnen Geld dafür geben sollst.“ Das hätte ich mir dann wieder nicht verdient gehabt und mich eigentlich nur schlecht gefühlt, plus die Angst, das Geld nicht allein aufbringen zu können und total zu versagen. Das habe ich mir nicht zugetraut.

Corinna Bergmann, Foto cpeter.fotography

Corinna Bergmann,
Foto cpeter.fotography

Also habe ich weiter Jura studiert. Getreu dem Motto: „Was man angefangen hat, macht man auch zu Ende.“
Bei allem Pech hatte ich manchmal aber auch Glück. Ich bekam auch so die Möglichkeit, immer wieder mal im „Packhaus Theater“ (ein kleines Theater im Schnoorviertel mit 130 Plätzen) zu spielen, neben dem Studium. Das hat mich zu der Zeit gerettet. Theaterproben und dann pro Inszenierung für drei Wochen am Stück jeden Abend auf der Bühne stehen.

Dort entdeckte man mich auch fürs Radio und ich machte eine Sprecherausbildung beim und später dann Sendedienste für das Klassik- und Kulturprogramm, auch Hörspiele unter anderem. Das passierte aber alles stets neben dem Studium, durch das ich mich wacker und innerhalb der Regelstudienzeit brachte (und das ich sogar im ersten Staatsexamen mit einem befriedigend beendete).

Ein Regisseur sagte mal zu mir: „Sie sind eine klassische Doppelbegabung.“ Er wusste allerdings nicht, was das für mich bedeutete. Ich war gefangen zwischen den Welten. Das eine, was ich wollte, das andere, was ich musste. Nach dem ersten Staatsexamen habe ich entschieden, meine Zelte in Bremen abzubrechen und bin nach Hamburg. Ich musste raus aus dieser Stadt, weiter weg von meinen Eltern. Allerdings hatte ich mir damit auch meine Kontakte abgeschnitten und das Pendeln zum Sender (Radio Bremen) erfolgte auch nur noch in größeren Abständen, ebenso zu meinem Krimi-Dinner-Ensemble, also die regelmäßigen Sachen, die ich zu der Zeit machte.

Und da ich auch keine Lust mehr auf exzessives Kellnern und Promotion hatte, habe ich mich schlussendlich aus Angst zu versagen für festes Geld entschieden und den Platz für das zweite Staatsexamen in Hamburg mehr oder weniger freiwillig angetreten (verbeamtet und sehr gut bezahlt). Vor der weiteren Angst, in dem Beruf arbeiten zu müssen, bin ich, glaube ich, schwanger geworden und wieder und wieder und wieder. Waahnsinn, so rückblickend. Der Stoff reicht bei mir eigentlich für mehrere Leben.

Manchmal habe ich das Gefühl, alles verlief in einer Art Wahn. Bloß nicht nachdenken, einfach machen, machen, machen. Ich bin erst in Berlin so richtig zur Besinnung gekommen. Ich bin seit zehn Jahren hier und mittlerweile auch endlich bei mir selbst angekommen. Ich habe mir den Raum zum Nachdenken genommen.

Mir hat das Tschechow Jahr, das ich gemacht habe, dabei sehr geholfen. Die Methode von Michael Tschechow hat sehr viel mit der Konzentration und Intuition zu tun, beobachten, nachspüren, sehr viel Achtsamkeit mit sich und der Welt. Ich arbeite daher auch gern mit der eigens von Jens Roth entwickelten Methode, dem Source Tuning, was genau genommen eine Weiterentwicklung von Tschechow ist, nur auf der mehr spirituellen Ebene.

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Der Kopf ist außen vor, wird sogar ganz bewusst zum stillen Beobachter, sodass der Körper frei ist und die Rolle intuitiv erfassen kann. Das klingt sehr spuki, ist aber enorm wirkungsvoll und geht schneller als die Rollenerarbeitung mit Tschechow. Bekannte Kollegen wie Jördis Triebel, Pasquale Aleardi oder Edin Hasanovic arbeiten auch danach… Soviel zu Plan A.

JJ: Was ist deine ganz persönliche Faszination Schauspiel, Corinna? Wenn du zuschaust, wenn du selbst spielst?

Corinna: Ich liebe Menschen und ich liebe es, sie zu beobachten. Daher stört es mich auch nicht, irgendwohin allein zu gehen (ins Kino, ins Theater oder in ein Cafe) oder auf jemanden mal zehn Minuten zu warten (natürlich nur ohne Termindruck, also es stört mich schon, wenn die Vorstellung schon angefangen hat). Ich mag das manchmal sogar.

Dann beobachte ich andere Menschen, wie sie sich bewegen, wie sie sich unterhalten, ich versuche Beziehungsgeflechte zu analysieren, Stimmungen zu erahnen und Haltungen zu interpretieren. Wie geht es den Menschen gerade in diesem Moment, fühlen sie sich wohl oder versuchen sie Probleme zu überspielen? Beim Spiel kann ich da eintauchen in diese anderen und mich ausleben. Ich bin dann jedenfalls nicht ich selbst und ich glaube, das gefällt mir daran. Das fasziniert mich im Übrigen auch am Spiel anderer, wenn man sieht, dass jemand komplett in eine andere Rolle abgetaucht ist und nicht ein Standartrepertoire abliefert.

JJ: Was geht in dir vor nach dem „und…bitte“ des Regisseurs (Kameraset) beziehungsweise nach deinem Stichwort (Bühne)? Wer bist du in der Rolle, was macht die private Corinna, während die Schauspielerin jemand anders ist/jemand anders spielt?

Corinna: Wenn ich die Rolle gefunden habe, kann da eigentlich nicht so viel schief gehen, dann lege ich mit einem Klick den Schalter um. Dann schaue ich manchmal von oben auf mich drauf, also mir selber zu. Manchmal bin ich aber auch einfach nur drin und ich selbst bin weg.

Es braucht allerdings immer eine Konzentration und Übung vorher, also ich kann nicht vom Einkaufen kommen und direkt vor die Kamera oder auf die Bühne. So gut klicken kann ich auch nicht.

Einmal hatte ich wegen Hektik und Stress vor der Bühne einen Blackout. Ich wusste nichts mehr, nicht mal mehr, welches Stück wir spielen. Man drängte mich nach draußen und ich stand vor dem Publikum – dann sah ich mich um in der Wohnung, in der ich mich befand, und es fiel mir ein, mein erster Satz war: „Ich bin Jil Tanner.“ Da wusste ich wieder, wer ich war.

JJ: Und was machen während der Momente des Spiels die Kollegen/Kolleginnen mit dir? Wie gehst du damit um, wenn dein Gegenüber plötzlich und unabgesprochen anfängt zu improvisieren?

Corinna: Wenn beide in der Rolle sind ist es super, dann befruchtet der eine den anderen. Dann wird es gut oder noch besser. Also Balance ist wichtig, alle in der Rolle, in der Stimmung. Wenn einer aber raus ist, egal wer (sei es durch einen pedantischen Regisseur oder die Stimmung kippt insgesamt, da Mittag auf 16:00 Uhr verschoben wurde oder mehrere Zuschauer verlassen den Saal oder du erkennst es an der Lache deiner Freundin), dann wird es für den anderen auch schwieriger, in seiner Rolle weiter voll zu überzeugen. Das ist ganz normal.

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Natürlich ist man sehr von den Kollegen abhängig – wie gut vorbereitet und konzentriert die wiederum sind. Es ist ja ein Zusammenspiel. Wenn der Kollege plötzlich zwei Seiten weiter springt, da Text vergessen, dann fängt das Schwitzen an, aber diese Adrenalinkicks machen auch irgendwie Spaß und beflügeln einen. Aber da locker zu bleiben kann man lernen.

Deswegen gehe ich häufiger zu Improvisationstrainings. Bei der Impro lernt man, sich selbst zu vertrauen, sich auf sich selbst verlassen zu können, egal was passiert. Bei der Impro weiß man nie, wohin die Reise geht, was der andere sagen oder machen wird und man lernt zu reagieren und die Handlung nach vorne zu treiben. Das schafft ungeheure Spielsicherheit. Ich habe mal mit einer Gruppe ein komplettes Theaterstück (einzelne Figuren und Szenen) über Improvisation entwickelt. Es gab vorher nur eine grobe Grundidee. Aber das nur nebenbei.

JJ: Corinna, bei deinen bisherigen Theaterrollen sehe ich keinen großen Klassiker. Falls ich richtig sehe, hast du Lust auf Schiller, Shakespeare, Lessing…?

Corinna: Das ist richtig. Ich war auch eher ein komisches Talent. Ich habe immer ein bisschen bedauert, keine Julia oder Johanna auf großer Bühne gewesen zu sein. So ein Stück Wahrhaftigkeit zu spüren. Ich würde auch nicht nein sagen, wenn mir jemand die Rolle von Maria Stuart oder Hamlets Mutter im Deutschen Theater anbieten würde. Die Rolle einer Königin oder Gräfin würde mir bestimmt gut stehen. Doch liegt da bei mir nicht mehr wirklich der Fokus.

JJ: Gehen wir mal ins Land der Träume und Wunschfeen. Egal ob Film, Fernsehen, Theater – wen, was, wo, mit wem möchtest du gerne mal spielen?

Corinna: Ich bin klug, einfühlsam, stark, durchsetzungsfähig, angriffslustig. Ich bin der Prototyp Ärztin, Anwältin, Kommissarin. Ich bin außerdem belastbar. Also für eine Serienrolle als Kommissarin wäre ich doch geradezu prädestiniert. Zum Beispiel an der Seite von Devid Striesow, Henning Baum oder Mark Waschke.

Zudem würde ich auch super gerne mal in einer richtig fetten Kinoproduktion mitspielen, beim nächsten Schweiger Film beispielsweise. Der letzte ist ja jetzt fertig. Da ist heute Abend Premiere. Und noch weiter gedacht, würde ich gern mal an der Seite von Meryl Streep spielen, als deren Tochter vielleicht. Eine gewisse Ähnlichkeit sagt man mir nach. Sie ist eine herausragende Schauspielerin und das wäre sicher die größte Ehre.

JJ: Ich habe schon 1000 deiner Kolleginnen oder Kollegen von meinem „Einer flog über das Kuckucksnest“ Erlebnis Anfang der 80er Jahre erzählt, als wir alle im Kinosaal abwechselnd lachten und weinten und ich mit einem Bekannten dann noch zehn Minuten stumm ergriffen draußen saß. Jahrzehnte später erinnere ich mich daran, als wäre es gestern passiert. Kennst du das, welcher Film hat dich warum im Sessel gefesselt oder dich vom Hocker gehauen? Was muss so ein Film (kann auch ein Theaterstück sein) haben?

Corinna: Für mich muss ein Film eine Geschichte erzählen, die anrührt, Mut macht, Hoffnung gibt oder in der ich mich einfach wiederfinde (wie beispielsweise oben erwähnt „Kleine Haie“ von Sönke Wortmann). „Pretty Woman“ fand ich seinerzeit großartig. Ich habe ihn bestimmt zehn Mal gesehen. Ein Mann, der in einer Hure den Menschen sieht und ein Mädchen, das nicht aufgibt und die am Ende ein gutes Leben haben kann.

Corinna Bergmann, Foto Copyright Oliver Nötzel

Corinna Bergmann,
Foto Copyright Oliver Nötzel

Oder „Der Club der toten Dichter“ war auch lange Zeit einer meiner Lieblingsfilme, weil er meine Empfindungen und meine Sehnsucht widerspiegelte. „Braveheart“. Ich habe den Film durchlitten und hatte am Ende, als Mel Gibson auf der Streckbank öffentlich gefoltert wurde und statt der erwarteten Antwort der Unterdrücker „Freiheit“ rief, vor Freude geweint, mit dem Gefühl: „Gib niemals auf, niemals, bleib dir treu.“

Das kann auch Comedy sein. Da fällt mir beispielsweise „Date Night“ ein, ein Angriff auf die Lachmuskeln. Dieses Pärchen aus der Provinz, das einfach abends schick Essen gehen will, sich diebisch freut, weil es mit Trick 17 einen eigentlich reservierten Tisch in diesem Nobelrestaurant bekommt und der Abend sich dann zum persönlichen Alptraum entwickelt, da sie mit Drogendealern verwechselt und durch New York gehetzt werden.

Mir selbst passiert auch manchmal eine Abfolge von Blödsinn, das war früher noch schlimmer, heute geht es. Aber ich freue mich immer, wenn es anderen auch mal so geht. „Bandits“ fällt mir grad noch ein, ein Film über die Flucht in die Freiheit durch die Liebe zur Musik. Leidenschaft gibt Kraft und verbindet. Tolle Musik im Übrigen.

JJ: Gehen wir jetzt nochmal eben auf Anfang. Warst du die kleine Corinna, die Omas Küchentisch als Bühne eroberte, die im Schulteater die Hauptrollen abgriff, sich verkleidete, tanzte, sang…?

Corinna: Ich glaube, da habe ich oben, in der zweiten Frage, schon einiges dazu gesagt. Ich war als Kind so eher jungenhaft, mochte keine Puppen, sondern Autos und Spielfiguren (Ranger und so) und war Western Fan. Ich habe daher mit Vorliebe Cowboy und Indianer mit anderen Kindern gespielt. Das war in meiner Achim-Zeit noch möglich, da gab es noch Wiesen um den Häuserblock herum und wir Kinder haben uns in zwei Lager geteilt und uns gegenseitig gefangen genommen. Ich war immer bei den Cowboys.

Einmal wurde ich mit meinen eigenen Handschellen an einen Zaun im Gebüsch gekettet und erst Stunden später befreit. Ich bin auch gerne abgehauen, beim Einkaufen, im Urlaub, aus dem Kindergarten. Aber zum Schauspiel. Ich war eher Comedy, habe gern Faxen gemacht und bin wie ein Affe gelaufen. Ich konnte diverse Witze und musste sie auch ständig erzählen. Dieses Talent ist allerdings irgendwo auf der Strecke geblieben.

JJ: Was liegt aktuell konkret an, was mittelfristig?

Corinna: Ich bin seit knapp zwei Jahren im Ensemble der „Dream Teamer Live Hörspieler“ und bin seitdem in diversen Produktionen in immer unterschiedlichen Rollen auf der Bühne zu erleben. Wir treten vorwiegend im Theater „Verlängertes Wohnzimmer“ oder im Theater an der Parkaue auf.

Live Hörspiel hat sehr viel mit Schauspiel zu tun, da man nicht nur Text ins Mikrofon spricht, sondern ein Stück durch Figuren dem Publikum unmittelbar erlebbar macht. Zuletzt bin ich in einer Kurzgeschichte „Das große Rennen“ bei den Nicolaifestspielen aufgetreten. Aktuell verkörpere ich in dem Stück „Nick Edwards-Schatzjäger“ eine egozentrische Vollblut-Spanierin namens Senorita Rodriguez. Auftrittstermine sind am 15.9. (am 14.9. bin ich bei der Preisverleihung zum Deutschen Schauspielpreis, werde also bei der Premiere vertreten) und am 05. und 06.10. im Theater Verlängertes Wohnzimmer. Am 12. und 13.10. trete ich im „Weiten Theater“ (Parkaue) als Kate in „Sherlock Holmes und der Diebstahl der Quadriga“ und am 14./15./16.12. anlässlich des Charles Dickens Festivals in Blomberg (Lippe) in verschiedenen Rollen in „Eine Weihnachtsgeschichte“ auf. Das Stück wird auch wieder hier, wie jedes Jahr, im Theater Verlängertes Wohnzimmer an vier Terminen im November/Dezember von uns dargeboten.

Im Juni habe ich zuletzt eine Werbung gedreht, die auf der großen Leinwand bei den Locarno Filmfestspielen lief und derzeit noch im Kino in der Schweiz zu sehen ist, sowie auf der Website des Kunden „Die Mobiliar“, eine Schweizer Künstlerversicherung. In den vergangenen Monaten habe ich mit einer jungen Kollegin zusammen eine Geschichte entwickelt, die eigentlich ein Kurzfilm werden sollte, zu dem ich das Drehbuch geschrieben habe. Allerdings haben wir uns entschlossen, eine Webserie daraus zu machen, da der Stoff etwas mehr hergibt als nur eine Story für einen Kurzfilm.

Im August haben wir dann einen Teaser produziert, mit dem wir uns nun auf die Suche nach Sponsoren begeben. Allerdings hat die Kollegin gerade ein Zweijahres-Engagement in Cottbus bekommen, sodass ich nun erstmal allein stehe mit dem Projekt. Aber ich habe ihren Segen, das Ding auch alleine zu rocken. Ich suche daher nicht nur nach Produzenten und Sendeplatz, sondern auch nach einer neuen jungen Kollegin als Spielpartnerin.

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Corinna Bergmann; Copyright Oliver Nötzel

Parallel schreibe ich das Drehbuch zu einem Feature Film über Midlife Crisis, wenn die innere Uhr anfängt zu ticken und die Angst vor der magischen 40 einen schier durchdrehen lässt. Das wird sich alles noch etwas ziehen, ist aber slowly but surely in Arbeit. Natürlich schreibe ich auch fleißig Bewerbungen und latsche zu Castings.

Also, da tut sich immer wieder was Neues auf, wenn man in Bewegung bleibt. Zudem bin ich gerade Teil des Theaterensembles „Colorado“ geworden, die hauptsächlich Tourneetheater machen. In 2020 spiele ich jedenfalls Mrs. Hackitt in „Der Hexer“.

JJ: Danke, viel Spaß, viel Erfolg.

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Weitere Informationen: Corinnas Webseite

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Foto Startseite: Copyright Oliver Nötzel

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