Von Podium und Persönlichkeit

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Zwar sitze ich schon lange nicht mehr im Sattel, früher aber, zu meiner Zeit, da war Radfahren für mich so alltäglich, normal und selbstverständlich wie Essen, Trinken, Atmen… irgendwann ins Bett gehen. Als Kind versuchte ich, in den Kurven so schräg zu liegen, dass ich zumindest mit einer Pedale den Boden berührte, lieber noch mit dem Lenker. Was dann indes wirklich mit der Straße Bekanntschaft schloss, war meine vorwitzige Nasenspitze.

Später fuhr ich mehrere hundert Kilometer pro Woche, einige davon mit meinem Sohn auf dem Kindersitz über den Kamm des Thüringer Waldes. Diesseits hoch, jenseits runter – und weil wir wieder nach Hause mussten, das Ganze retour. Dabei geizte mein Sohn nicht mit „Vati schneller“ Rufen, besonders bergauf. (Es waren die 80er Jahre und das Rad hatte drei Gänge). 

Elisabeth Brandau; Foto: Max Fuchs/ EGO-Promotion

Elisabeth Brandau; Foto: Max Fuchs/ EGO-Promotion

Warum krame ich die alten Geschichten hervor? Als kürzlich in Glasgow und Berlin die ersten European Championships stattfanden, schaltete ich den Fernseher ein, just in dem Moment, da die Mountainbikerinnen ihre Wettkämpfe austrugen. Sie jagten mit ihren Hightech-Maschinen über Stock und Stein, bergauf – bergab. Vorne dabei, statt mittendrin: Elisabeth Brandau. Der Kommentator sah zwischenzeitlich gar eine Medaille in Reichweite.

Wieso, weshalb, warum und das ganze Drumherum gibts für meine Leserinnen und Leser hier und jetzt von Elisabeth höchstpersönlich:

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„Ich verlor viel Zeit in den Abfahrten und das kostete mir wohl eine Medaille“

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JJ: Elisabeth, aufmerksam auf dich wurde ich, als ich die Europameisterschaften der Mountainbiker in Glasgow im Fernseher verfolgte. Du wurdest Fünfte. Ich denke: eine stolze Platzierung! Was denkst du? Plaudere auch bitte mal munter drauf los, wie du die EM-Tage erlebt hast.

Elisabeth: Natürlich habe ich mich darauf gefreut, besonders da diese Europameisterschaft einen ganz anderen Eventcharakter hatte als die bisherigen. Es war zudem eh erst meine zweite EM. Dennoch habe ich von den andern Sportarten nicht viel vor Ort mitbekommen, da wir als Mountainbiker immer am Rand der Stadt sind.

Elisabeth Brandau, Foto Thomas Weschta EGO-Promotion

Elisabeth, Foto: Thomas Weschta/ EGO-Promotion

Zudem sind wir erst Sonntag angereist, deshalb war es ziemlich stressig, alles zu verarbeiten – Strecke anschauen, Material verändern, testen… Mir persönlich war das zu kurzfristig und das zeigte sich auch im Rennen. Ich verlor viel Zeit in den Abfahrten und damit meinen Flow – und das kostete mir wohl eine Medaille. Es war nicht mein bestes Rennen. Trotzdem war ich am Abend danach mit allem ganz zufrieden.

JJ: Erzähle uns Laien bitte mal kurz, was Mountainbiker unter Marathon und Cross-Country verstehen.

Elisabeth: Cross-Country ist eigentlich wie Formel 1 – alle fahren gerne teure Autos – aber wenige schnell beziehungsweise gut. Wir fahren teure Bikes, alle sind getunt und abgestimmt – und bergauf (was wenige mögen) sowie bergab kommen zur Kondition (im Vergleich zum Marathon) die Fahrtechnik, die Physis, die Spritzigkeit, Koordination und auch Erfahrung dazu. Das um die anderthalb Stunden lang, auf einer im Schnitt vier Kilometer langen Runde. Insbesondere die Kondition und Konzentration machen dann das Ganze schwer, auch in den Abfahrten.

JJ: Ich bin während meiner sportlichen Glanzzeit zwar nie wettkampfmäßig Rad gefahren, aber zur Fortbewegung und zum Spaß sehr oft, gerne und manchmal auch weit. Besonders in der Kindheit war Rad fahren für mich in die Kurve und auf die Nase legen (nasses Kopfsteinpflaster). Warst du als Mädchen auch so drauf oder gleich vernünftig?

Elisabeth: Vernünftig war ich – glaube ich – noch nie ;-), eher bin ich sogar jetzt noch risikobereiter. Wenn ich was wollte, dann machte ich es. Ich bin schon immer gerne Rad gefahren, egal ob zur Schule oder im Wald mit meinem Papa.

JJ: Und: fährst du gelegentlich einfach so mit dem Rad, lässt dir den Wind um die Nase wehen und bewunderst die Landschaft (im Familienkreis vielleicht)?

Elisabeth: Ja, Wandern mag ich nicht so gerne (Joggen dann wieder mehr), mit dem Rad hat man einen größeren Wirkungskreis und mit den Anhängern ist das für Familien ja super. Ich packe auch das Laufrad und den Vierradpuky ein und dann machen wir Eisdielen- oder Spielplatztouren, stop and go. So war’s bei mir früher auch.

Elisabeth Brandau, Foto Thomas Weschta EGO-Promotion

Elisabeth, Foto: Thomas Weschta/ EGO-Promotion

Gerne fahre ich mal ruhig und alleine, um nachzudenken. Da fallen mir oft Lösungen für Sachen, die mich beschäftigen, ein.

JJ: Bekommst du im Wettkampf etwas von Landschaften, schönem oder schlechtem Wetter mit – oder fährst du im Tunnel?

Elisabeth: Ich versuche schon, auch das ganze Drumherum zu sehen. Denn sonst ist man schnell enttäuscht und macht sich zu viel Druck. Wettkampfsport ist mehr als nur der Wettkampf. Manchmal ist es schwer, je nach dem, mit wem man unterwegs und wo man untergebracht ist. Aber in Schottland haben wir auch die Highlands gesehen und die Tiere… oder ’nen Whisky probiert ;-).

JJ: Wie erinnerst du dich an deinen ersten Wettkampf, Elisabeth?

Elisabeth: Mehr von Erzählungen, da war ich 14 Jahre jung und bei den Spielferien mit dem Rennrad. Ich machte nur mit, weil mein Bruder fuhr, gewann, und der Verein sah Talent in mir.

Dann ging es auf der Straße los – ich war schon immer ehrgeizig und bin Schwimmwettkämpfe geschwommen oder habe am Judo teilgenommen. Aber Radfahren war schon von kleinauf mein größtes Hobby.

Erst Straße – 1999 bis 2003 – dann pausierte ich Wettkämpfe und bin erst 2008 wieder im Mountainbik eingestiegen. Diese Sportart machten mir Freunde schmackhaft; da ging es eher um Spaß am Wochenende – Campen, Grillen, Bier und bissi im Wald fahren.

Elisabet Brandau, Foto Armin M. Küstenbrück EGO-Promotion

Elisabet, Foto: Armin M. Küstenbrück/ EGO-Promotion

Da wohl einiges Talent in mir schlummert, kam ich dann übers Marathon fahren zum Cross-Country ;-). Da weiß ich noch, dass ich erst nie wieder fahren wollte (technisch war ich ’ne Katastrophe), aber es besserte sich zum Glück durch Training.

JJ: Schildere mal bitte deine ganz persönliche Faszination Mountainbike fahren. Was macht dir Spaß, was lockt dich immer wieder in den Sattel?

Elisabeth: Die Freiheit, alleine oder in der Gruppe, egal wo und unabhängig von irgendwelchen Hallenzeiten, das Wetter genießen, egal ob es kalt oder warm ist – beim Mountainbiken besonders die Luft noch. Straße fahre ich in meiner Region fast garnicht mehr – wegen der vielen Autos -und ich finde es auch schlimm, dass alle zur Arbeit mit dem Auto fahren…

JJ: Gilt diese Faszination erst, wenn du Gegnerinnen hast oder auch wenn du einfach nur für dich eine Strecke absolvierst?

Elisabeth: Puh, im Weltcup ist es schwer, ich versuche mich im Rennen auf mich zu konzentrieren. Auf meine Fahrtechnik und auf das, was ich kann. Ich muss mein Rennen fahren. Nicht das der Gegnerinnen.

Und wenn ich dies schaffe, bin ich im Flow. Dann fahre ich gut. Das ist aber schwer immer zu schaffen. Es braucht gutes Mentaltraining. Wettkämpfe sind eigentlich Kontrollen, ob ich meine Hausaufhaben gut gemacht habe…

Wenn ich ein- und ausfahre an den Rennorten, teste ich schon mal andere Wege und lerne etwas von der Region kennen. Weil ich oft die Gegend nicht kenne, muss ich dafür auch hin und wieder Teilstücke schieben ;-).

JJ: Erzähle bitte mal ein bisschen über das „EBE-Racing Team“, Elisabeth.

Elisabeth: Das fing 2011 im Herbst an. Da kam ein Sponsor und wollte um mich ein Team. Das managte ich dann als Profiteam mit weiteren vier Fahrern. Ende 2012 war ich ziemlich kaputt und zudem wollte der Sponsor nicht weiter machen, was mich zunächst erschütterte, aber die andern kleinen Sponsoren motovierten mich und somit wurde aus dem Profi- ein Nachwuchsteam.

Immer wieder konnte ich Sportlern helfen, einen erfolgreichen Absprung zu schaffen beziehungsweise sich weiter zu entwickeln. Auch schon im Profiteam sammelten wir internationale Medaillen (Daniel Fedespiel/Silke Schmidt). Das macht mir auch Spass – das Wissen weiter geben. So, dass nicht alle so lange brauchen und in alle Fettnäpfchen treten müssen wie ich ;-).

Elisabet Brandau, Foto Armin M. Küstenbrück EGO-Promotion

Elisabet, Foto: Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Manches hätte auch ich nicht miterleben müssen, dafür habe ich ’ne Menge Erfahrung nun. So kam ich zum Heilpraktiker- und Coaching. Denn ohne Gesundheit geht auch kein Sport.

JJ: Was liegt sportlich demnächst an und wie planst du die nächsten Jahre?

Elisabeth: Ich habe zwei Kinder, ein und drei Jahre jung, und wenn ich es nun finanziell und organisatorisch hinbekomme, peile ich klar noch die Teilnahme an Olympia und Weltmeisterschaft 2020 (Albstadt) ein. 2016 hatte ich zwar die Qualifikation geschafft, aber konnte wegen meines ersten Sohnes und des zu kurzen Wettkampf-Comebackes nicht teilnehmen.

Nach 2020 mache ich es ein wenig abhänig davon, was die Familie will, wie es finanziell aussieht und beruflich habe ich auch noch Ziele ;-). Derzeit bin ich dabei, meine Praxis aufzubauen.

Meinen Eltern habe ich auch einiges zu verdanken und zurückzugeben. Ich denke, das werde ich dann auch bedenken. Was sicher ist, dass es mein EBE-Team weiter gibt und ich für meine Kinder mehr da sein möchte.

JJ: Ist nach vielen Erfolgen noch ein Mountainbikerinnentraum übrig, Elisabeth?

Elisabeth: Das Wichtigste ist mir, dass meine Familie gesund ist. Ich denke, das bringt mir die Lockerheit im Sport. Wir sind alle Menschen, egal ob erfolgreich oder nicht – solange man etwas tut und sich weiter entwickelt, unterscheidet das Podium an sich keine Persönlichkeit.

Olympische Spiele erleben hinter den Kulissen ist schon etwas! Oder mal ein Triathlon zu machen… da gibts noch vieles 😉

JJ: Vielen Dank, viel Erfolg, noch mehr Spaß.

Elisabet, Foto Armin M. Küstenbrück EGO-Promotion

Elisabet, Foto Armin M. Küstenbrück EGO-Promotion

Inzwischen holte Elisabeth Brandau Silber bei den Mountainbike-Weltmeisterschaften der Cross Country Staffel (21,0 km/5x 4,2 km) in Lenzerheide (Schweiz), gemeinsam mit Leon Reinhard Kaiser, Maximilian Brandl, Ronja Eibl und Manuel Fumic. Gold erfuhren die Gastgeber/innen, Bronze die Sportler/innen aus Dänemark. Im Damen Einzel fuhr sie auf Rang acht.

Weitere Informationen: Webseite von Elisabeth Brandau

Foto Startseite: http://www.ego-promotion.de/

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