In der Rolle neu entdecken

 

India Antony hat die ersten drei Monate ihres Lebens in Indien verbracht. „Da liegen meine Wurzeln“, sagt sie, „ich bin regelmäßig dort und mag es sehr. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, aber Indiens Temperament pulsiert in mir, das kann ich bei aller Sozialisation und Anpassung nicht zähmen.“

India, Foto von Marcus Nitschke

India, Foto von Marcus Nitschke

Die Schauspielerin ist zudem staatlich anerkannte Diplomsozialpädagogin und in mehreren Sprachen zuhause – Deutsch und Malayalam als Muttersprache, Englisch und Italienisch fließend. Sie treibt gerne Sport und tanzt.

Genaueres erzählt India uns selbst. Hier und jetzt:

 

„Ich bin voller Gefühle, Emotionen, Geschichten, Tiefen – und alles in mir brennt und will raus“

 

JJ: India, definiere mal bitte „Bewegung“. Nicht wissenschaftlich, nicht für Wikipedia, sondern aus deiner ganz persönlichen Sicht – die India Bewegung sozusagen.

.India Antony: Für mich heißt Bewegung mit meinem innersten Kern verbunden zu sein. Das heißt, ich suche nicht Stillstand, Sicherheit, sondern absolute Ehrlichkeit zu mir selbst. Deswegen würde ich mich als Menschen sehen, der in Bewegung ist.

Klar lege ich Pausen, Auszeiten ein. Aber auch da bewegt sich etwas in mir. Ich habe in meinem Leben in unterschiedlichen Ländern gelebt, unterschiedliche Sachen ausprobiert, bis ich das gefunden habe, was sich für mich gut anfühlt. Die Schauspielerei.

Die India-Bewegung ist, sich eben nicht zufrieden zu geben, wenn man merkt, dass einem ein Job, eine Beziehung, eine Stadt, ein Land zu klein geworden ist, sondern zu gehen, aufzubrechen, immer wieder neu ins Ungewisse, aber verbunden zu sein mit sich und seinem Bauchgefühl.

JJ: Wie wichtig ist dir Sport, beispielsweise Kickboxen, Thaiboxen; und Laufen, Schwimmen… bis hin zum Tanz? Was macht das mit dir? Sind Sport und Bewegung eine Art Grundlage für Schauspiel – oder verschiedene Paar Schuh?

India: Sport ist mir sehr wichtig. Es ist eine Gewohnheit geworden, mein Körper ruft von alleine nach Sport und mir geht es einfach besser, wenn ich im Fitnessstudio trainieren war, Workout… Yoga… Laufen…

Ich habe auch Kickbox- und Muay Thai Training gemacht, ich liebe aggressive Wettkampfsportarten. Da ist jemand in mir, der gewinnen will.

Foto von Tobias Vorbrugg

Früher, als junges Mädchen, habe ich vier Jahre im Verein Basketball gespielt . Und ich war oft die mit den meisten blauen Flecken. Ich liebe Einsatz. Und ich powere mich gerne aus. Dann bin ich wieder ausgeglichen.

Ich liebe es zu tanzen. Wenn ich tanze, bin ich frei. Es gibt nichts, was mich so sehr befreit. Wenn Menschen mich tanzen sehen – glaube ich – fühlen sie, wer ich wirklich bin.

Und ja, es ist für mich eine Grundlage für Schauspiel, dieses in Bewegung sein und Sport, denn nur wenn ich mich in meinem Körper und in meinem Leben wohlfühle, dann fühle ich mich wirklich wohl vor der Kamera, es strahlt aus.

Mein Körper ist mein Instrument – und wenn ich ihn trainiere, trainiere ich meinen Geist. Und das wirkt sich auf mein Spiel aus.

JJ: Was fasziniert dich an Schauspiel, zunächst mal, wenn du zuschaust? Welche Filme hauen dich um, nach welchen Theatervorstellungen stehst du auf und applaudierst, selbst wenn es die anderen um dich herum nicht tun?

India: Was mich am Schauspiel fasziniert, wenn ich zuschaue, ist, dass ich mich vergesse – oder besser – mich sehr in die Person hineinfühlen kann, die in dem Film mitspielt, wenn es gut gespielt ist und ich eine Verbindung zu einem mir völlig fremden Menschen fühle.

Und dieses Einfühlen vermittelt mir, mit meiner Story, meinem Leben, meinen Gefühlen nicht alleine zu sein. Und ich liebe Filme, in denen große Entscheidungen getroffen werden. Mutige Entscheidungen, die mich inspirieren.

Mich hauen authentische, rohe, körperliche Filme um. Die vibrieren, weil sie echt sind, keine Hollywoodstories, sondern echte Geschichten von echten Schicksalen, die provozieren.

Ich stehe auf und applaudiere, wenn ein Stück oder Schauspieler mich mitreißt, wenn ich innerlich „Ja“ schreie. Oder sich in mir ein neuer Weg, eine neue Richtung offenbart hat, durch eben dieses Stück.

JJ: Und was treibt dich an, vor eine Kamera oder auf eine Bühne zu schreiten?

India: Ich bin voller Gefühle, Emotionen, Geschichten, Tiefen – und alles in mir brennt und will raus. Es ist nicht nur mein Selbst allein, sondern die Farben, die ich mit Menschen erlebt habe, wie sie mich berührt haben. Ich habe so viel bereits erlebt, so viel gefühlt, und es gab eine Zeit, da habe ich dies alles zurückgehalten.

Ich liebe es, wenn ich auf der Bühne stehe, das Publikum spüren, das Rampenlicht, dieser absolute Fokus und dieses sich ganz Hingeben in den Moment. Jetzt oder nie.

Ich liebe dieses Gefühl, 100 Prozent da zu sein, ein gewisses Leuchten zu spüren – und ja, mittlerweile will ich gesehen werden, gehört werden und gefühlt werden. Es hat einige Zeit dazu gebraucht, aber ich liebe es.

JJ: Stelle dir bitte mal vor, du stehst vor der Kamera oder auf der Bühne und dein Moment ist gekommen – du spielst. Was geht in dir vor, was fühlst, was denkst du? Und wie viel India steht da, wie viel Rolle?

India: Ich komme gerade von einem Dreh. Ich beschreibe mal einen Moment: Der Text sitzt und da sind nur mein Partner und ich, und ich fühle, und er fühlt, und wir fühlen zusammen, und irgendwas passiert, und ich kann loslassen.

​India Antony, fotografiert von Ingolf Bode

​India Antony, fotografiert von Ingolf Bode

Ich versuche in der Rolle immer ein Stück India zu finden, etwas, was ich aus meinem Leben kenne, was mir vertraut ist. Auch wenn es eine andere Person, ein anderes Alter und eine andere Geschichte ist, ich versuche mich, letztendlich auch im Zusammenspiel mit meinem Spielpartner, in der Rolle neu zu entdecken.

JJ: Können dich Kolleginnen und Kollegen in jenen Momenten mitreißen, hochreißen (oder im dümmsten Fall runterreißen)?

India: Mitreißen können sich mich auf jeden Fall. Ich liebe begeisterungsfähige, leidenschaftliche Menschen, die brennen… Ich habe im Sommer unter anderem mit Til Schweiger gedreht ( Klassentreffen 1.0, Kinofilm) und der erste Drehtag… wir hatten einfach Spaß. Wenn jemand seinen Beruf liebt und es nicht um abarbeiten geht, sondern darum, auf seine eigene Art etwas zu kreieren, da bin ich dabei.

Runterreißen? Ich bin ein sehr emphatischer Mensch, aber ich habe meine Grenzen und mit negativen Menschen umgebe ich mich nicht. Ich bin da sehr selektiv, mit wem ich Zeit verbringe und welche Kommentare ich an mich ran lasse. Hab da mittlerweile ein gutes Gefühl für gute Rückmeldung und Kritik – oder jemand, der sich wichtig tun will.

JJ: Erzähle mal bitte, wie du zur Schauspielerin wurdest, India, hat sich das beizeiten schon, in der Kindheit, angedeutet; wann war dir klar, dass du schauspielern möchtest, seit wann fühlst du dich als Schauspielerin?

India: Wie ich zur Schauspielerin wurde… Durch mein Leben. Mein Leben ist sehr farbenfroh gewesen bisher, wie eben dieses Land, dessen Wurzeln ich in mir trage.

Ich wurde zur Schauspielerin mit jedem Gefühl, jeder Geschichte, die ich erlebt habe, aber auch mit soviel Zeit in einem anderen Job, in dem ich zum Schluss eben nicht fliegen und wachsen konnte, dass ich irgendwann bereit war, mich für das zu öffnen, was tatsächlich aus mir heraus wollte, und das war die Schauspielerei.

Ich habe seit Kindesbeinen immer nebenher geschauspielert, aber zu begreifen, dass Arbeiten sich leicht und schön anfühlen darf, hat gedauert. Ich musste erst zu mir finden, auf eigenen Beinen stehen, studieren, arbeiten, wissen wer ich bin, meine eigene Geschichte verstehen und akzeptieren. Auch mein Frau sein verstehen, bevor ich an die Öffentlichkeit konnte und wollte.

Ich habe als Kind mit meiner Familie immer indische Filme geguckt. Ich bin damit groß geworden. Es war die Tätigkeit, die wir am meisten zusammen gemacht haben. Ich habe immer gerne Theater gespielt, bin in Rollen geschlüpft – in der Schule und an der Uni – aber die Entscheidung habe ich tatsächlich mit 21 getroffen. Da wollte ich es das erste Mal beruflich machen, nachdem ich „Carrie“ gesehen habe. Danach dachte ich das auch zu können.

Ich habe mich an Schauspielschulen beworben und wurde angenommen. Aber ich konnte noch nicht. Erst später, nach dem Studium, der Arbeit und einer Auszeit, als ich das erste Mal an einem Kinoset stand und eine kleine Rolle als Tänzerin ergattert hatte, wusste ich, das ist es, was ich immer gewollt habe. Alle anderen haben sich beschwert: Zehn Stunden Arbeit, so wenig Lohn, aber ich war einfach nur glücklich.

Seit wann fühle ich mich als Schauspielerin…? Ich hatte früher, als ich noch gar nicht als Schauspielerin gearbeitet hatte, manchmal nach einer Theatervorstellung das Gefühl, ohne das ich sagen kann warum. Es war einfach so in mir, mit der Atmosphäre. Abends… ich erinnere mich noch an das orange Licht der Straßenlaternen, eine Mischung aus Melancholie und etwas künstlerischem.

India; Foto Carsten Sander

India; Foto Carsten Sander

Ich gehe jetzt nicht jeden Tag durch das Leben und sage, ich fühle mich als Schauspielerin. Manchmal fühle ich es stark, manchmal bin ich einfach India und in dem Moment ist es egal, was ich beruflich mache. Ich bin einfach. Aber je mehr ich beginne, mein Anderssein, mein Verrücktsein, meine Intensität zu akzeptieren, um so mehr kann ich diese Berufung akzeptieren und sie inhalieren. Mich lieber von dieser Berufung leiten lassen, als dass ich sie leiten will…

Die Jahre nach dem Studium, in denen ich in Italien mit Menschen mit Auffälligkeiten gearbeitet habe, waren für mich die beste Vorbereitung. Da habe ich Improvisieren life on stage erlebt. Filmszenen in echt, dramatische Szenen, Verletzlichkeit, Verzweiflung, Fortschritt und vor allen Dingen authentisch sein mit anderen Menschen -menschlich zu sein und zu bleiben, egal, wen ich vor mir habe.

JJ: Ich war nie Schauspieler, wollte nie einer werden, aber zu diversen Bergfesten habe ich ganz gerne den Wilhelm Tell gegeben. Ab dem Moment, in dem ich den Hut auf dem Kopf und die Armbrust in der Hand hatte, war ich tatsächlich auch in mir drin ein anderer – und alles ging von selbst. Was hilft dir, in der Rolle zu verschwinden?

India: Beim Anderen sein, also ein guter Mitspieler, Körperlichkeit, also mit dem Körper intensiv agieren. Blicke… Augen. Sehr gut vorbereitet sein, dass ich mir keinen Kopf mache. Und ein angenehmes Klima. Kleidung.

JJ: Ist Kindertheater für dich spezielles Theater, gehst du anders ran, musst du anders ran gehen?

India: Kindertheater ist anders. Ich habe erst damit begonnen. Kinder sind so ehrlich. Und mit Kindern kann und muss ich viel mehr improvisieren. Sie glauben alles, können aber auch frech sein.

Ich hole sie mit ins Boot, ich will mit ihnen spielen. Es geht nicht nur um eine Vorführung, sondern sie mit reinzuholen ins Stück . Deswegen muss und war ich bei ihnen viel offener als bei anderen Zuschauern.

JJ: Gibt es eine Rolle, die du sehr, sehr gerne mal spielen möchtest, ein Genre, von dem du denkst, dich darin besonders wohl zu fühlen oder Kollegen/Kolleginnen, mit denen du gerne vor der Kamera (oder auf der Bühne) agieren würdest, India?

India: Ja, ich würde tatsächlich gerne mein eigenes Leben mal verfilmt sehen und mich darin spielen. Das wäre meine Lieblingsrolle. Weil ich manchmal das Gefühl habe, unterschiedliche Leben gelebt zu haben. Ansonsten mag ich die indische Göttin Kali; ich glaube, die würde ich auch gerne mal verkörpern. Oder ich schreibe mal mein eigenes Drehbuch.

Genre: ich mag Drama, ich mag französische Filme, also realitätsnahe, und ich mag Comedy-Filme. Allerdings könnte ich mir auch sehr gut eine Rolle in einem Action-Film vorstellen.

JJ: Was liegt demnächst an, woran arbeitest du dieser Tage?

India: Zur Zeit stehe ich für die TV Serie „Der Lehrer“ (RTL) vor der Kamera.

JJ: Danke.

 

Weitere Informationen: facebook Seite von India
oder Agenturseite von India

Foto Startseite: Tobias Vorbrugg

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