Der Hamburger Jung

 

Jerry Kwarteng ist ein Hamburger Jung. Durch und durch. Er ist viel rum gekommen auf dem Erdball, hat einige Jahre in England, den USA und Spanien gelebt, seiner norddeutschen Art und Heimat ist er dabei immer treu geblieben. Darüber – und über die Faszination Schauspiel – erzählt er uns hier:

 

„Wir lassen uns von so ein bisschen Regen nicht die Laune verderben“

 

JJ: Wann ging es bei dir los, wann hast du zum ersten Mal gespürt, dass dir Schauspiel Spaß macht, wann war dir klar, dass es dein Beruf wird?

Jerry Kwarteng: Moin. Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich mich sehr über dieses Interview freue. Vielen Dank dafür. Wann ich zum ersten Mal in mir gespürt habe, dass mir das Spielen Spaß macht und wann ich es zu meinem Beruf machen wollte? Hmm. Das sind zwei völlig unterschiedliche Zeitpunkte in meinen Leben. Ich bin nicht mehr genau sicher, wann ich es zum ersten Mal gespürt habe. Allerdings weiß ich, dass ich noch sehr jung war. Ich kann nicht älter als sieben Jahre gewesen sein, als ich angefangen habe, mich für die bewegten Bilder und das Spiel mehr zu interessieren als andere Kinder, die gerne fernsehen.

Es hat aber dann noch bestimmt fünf Jahre gedauert, bis ich dieses Gefühl bekam, dass ich genau das als Beruf machen möchte, und das hat mich auch bis heute nicht verlassen oder ist auch nur im Geringsten geschrumpft. Die Begeisterung für meinen Beruf wird eigentlich nur stärker. Dabei war es nicht die Möglichkeit, in andere Personen und Charaktere zu schlüpfen, die mich gepackt hat, sondern die unterschiedlichen psychologischen Seiten, die ich tief in mir entdeckte, hatten mich fasziniert.

Jerry, Foto: Ingolf Bode

Jerry, Foto: Ingolf Bode

Seiten, die ich unter normalen Umständen und Situation verborgen hielt oder besser gesagt, ich traute mich nicht, die Büchse der Pandora zu öffnen. Das Spielen gab mir plötzlich die Erlaubnis, auch diese Seiten auszuleben, die andere Menschen von mir nicht erwarten oder eventuell sogar auch nicht kennen wollen. Ich bin manchmal selber überrascht, wohin die Reise geht und habe damit auch sehr viel über mich selber gelernt. Dieses zu trainieren und mir zugänglich zu machen, um einen fiktiven Charakter zum Leben zu erwecken, ist etwas, auf das ich in meinem Leben nicht mehr verzichten kann.

JJ: Gab es, gibt es, einen Plan B?

Jerry Kwarteng: Ich kann nicht sagen, ob es einen Plan B gibt. Eventuell irgendwann mal. Aber ehrlich gesagt gab es in meinen Leben bereits jede Menge Umwege. Ich habe, nachdem ich als Jugendlicher meine ersten Rollen im Theater und Film gespielt hatte, relativ schnell aufgegeben. Denn die sehr wenigen Rollen, die ich bekommen habe, gingen mit meinem Selbstbild nicht einher. Ich habe dann zehn Jahre etwas völlig anderes gemacht. Ich habe Rechtswissenschaften studiert, in verschiedenen Ländern gelebt und unterschiedliche Berufe gehabt. Allerdings, auch wenn ich in einigen Berufen tatsächlich auch nicht unerfolgreich war, hat mich die Sehnsucht nach dem Spielen niemals losgelassen.

Als ich eher zufällig wieder nach Deutschland zurück kam, war ich bereits Anfang 30. Ich habe mir gesagt, jetzt alles nochmal auf Anfang. Einen Reset machen. Ich habe nochmal eine Schauspielschule in Berlin besucht und mir die Branche sehr genau angeschaut und überlegt, wie ich meine Skills und Erfahrungen aus meinen anderen Berufen, insbesondere Networking und Business, für mich nutzbar machen kann. Schlüssel- und Angelpunkt sind natürlich immer das Spiel und die Kunst, aber ich habe auch die unromantische Businessseite nicht außer Acht gelassen.

Nichtsdestotrotz ist es unwahrscheinlich schwer, als Schauspieler von seiner Arbeit zu leben. Ausschließlich von der Schauspielerei zu leben, habe ich bislang aber noch nicht geschafft, dennoch gebe die Hoffnung nun nicht mehr auf. Und nachdem ich bereits so viele unterschiedliche Berufe gemacht habe, gebe ich nun alles dafür, dass ich in der Branche überlebe. Also kein Plan B, nur Umwege zu meinem Ziel und kein Aufgeben.

JJ: Was geht während des Drehs in dir vor, genau in dem Moment, in dem du vor der Kamera stehst?

Jerry Kwarteng: Ha, ha, ha. Das hängt davon ab, wie lange ich warten musste, um dran zu kommen. Nein, nur ein Scherz. Ich bereite jede meiner Rollen sehr gewissenhaft vor und erarbeite mir einen Zugang zu dem Charakter, so wie ich ihn verstehe und empfinde. Gelingt mir das nicht, arbeite ich, je nach Größe der Rolle, mit einem meiner ehemaligen Schauspiellehrer daran.

Oft hat man auch Gelegenheit, mit dem Regisseur vor dem Dreh über die Rolle und Situation zu sprechen. Eine kurze Probe findet ja immer statt. Dann verlasse ich mich auf meine Vorbereitung und auf die Anleitung des Regisseurs. Das Arbeiten mit dem Regisseur und den Kollegen ist für mich am Set das Wichtigste. In dem Moment, in der unser Regisseur das Kommando gibt, fällt alles ab und man ist in der Szene und hofft, dass alles aus der Vorbereitung im Körper präsent ist… und dann geschieht hoffentlich ein wunderbarer und ehrlicher Moment.

JJ: Und danach? Fällt da etwas ab, bleibst du in der Szene?

Jerry Kwarteng: Bis die Szene im Kasten ist, versuche ich auch in längeren Drehpausen die Brücken zu dem Charakter offen zu lassen und nicht zu weit aus meinem Charakter raus zu gehen. Das bedeutet natürlich, dass ich mich natürlich ganz normal unterhalten kann, aber wenn es weitergeht, muss ich mir nur ein paar Momente für mich nehmen, um wieder rein zu kommen. Ist die Szene im Kasten, insbesondere bei schweren Szenen, gab es schon Situationen, in denen ich danach ziemlich platt und ausgelaugt war.

JJ: Welches sind die Rollen, die du gerne spielst oder spielen möchtest – ruhig mal auch ausserhalb der Realität an die Wunschfee denken bei der Antwort?

Jerry Kwarteng: Och, da gibt es so viele, auf die ich große Lust hätte. Ich bin ein Riesenfan von Actionfilmen a la „Fast and the Furious“. Ich hätte nichts dagegen, in einer Verfilmung einer Serie in dieser Art mitzuspielen. Ebenso würde ich gerne mal einen Polizisten oder BND-Agenten spielen, der sein eigenes Ding macht. So in eine Richtung deutsche Variante von James Bond oder Ethan Hunt. Idris Elba hat jetzt mit „Bastille Day“so einen Film gemacht.

Jerry Kwarteng, Foto von Paul Partyzimmer

Jerry Kwarteng, Foto von Paul Partyzimmer

Ich bin auch ein Riesenfan von Märchenwelten, wie man sie damals in Filmen der 80er Jahre mit dem Film „Legend“ gemacht hat, oder aus unserer jetzigen Zeit wie „Game of Thrones“ oder „Herr der Ringe“… aber der absolute Traum wäre es, bei „Star Wars“ mitzumachen. Mit diesen Filmen bin ich groß geworden, in einem der Teile mitzuwirken, wäre die Härte :-). Naja. Man soll nie aufhören zu träumen. Dream big.

JJ: Letztens warst du in einer Hauptrolle im Tatort Köln („Narben“) zu sehen. Jetzt mal ganz ohne konkrete Fragestellung, wie war’s?

Jerry Kwarteng: Es war eine super Erfahrung, in einem Tatort einer Figur Leben einzuhauchen. Es war bei weitem auch keine leichte Geschichte. Ich spiele dort keinen Sympathieträger und habe versucht, auf zwei Ebenen etwas zu erzeugen und war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Ich habe immer den Anspruch, die Figur so echt und ehrlich anzulegen wie möglich. Ich finde, es ist uns dort ganz gut gelungen.

Ich war insbesondere von der tollen Zusammenarbeit im gesamten Team so begeistert. Man wurde von allen sofort super nett aufgenommen und die Aufregung, bei einem Tatort mitzumachen, wurde mir dadurch sofort genommen. Die Kooperation mit den tollen Kollegen und deren Unterstützung waren eine ganz besondere Erfahrung, die ich gerne jederzeit wiederholen würde. Insbesondere mit unserem Regisseur Torsten C. Fischer war das super. Ich konnte ihm komplett vertrauen, dass wir aus meiner Figur auch die Facetten heraus kitzeln würden.

JJ: In dieser Tatort Folge hast du als dunkelhäutiger Schauspieler einen dunkelhäutigen Mann gespielt. Was Sinn macht. Aus meiner Sicht aber werden, zumindest bei uns in Deutschland, Rollen zu oft klischeehaft besetzt, also die osteuropäische Schauspielerin muss bevorzugt osteuropäische Putzfrauen spielen und so weiter.
Ich habe das Gefühl, allerdings nur als Zuschauer, das ist beispielsweise in den USA anders. Da hat es überhaupt nichts mit ihrer asiatischen Abstammung zu tun, dass Lucy Liu in „Elementary“ die ehemalige Chirurgin Dr. Joan Watson verkörpert, sondern damit, dass sie perfekt ist für den Job.
Wie schätzt du, der da – anders als ich – innere Einblicke hat, die Situation ein?

Jerry Kwarteng: Im Tatort spiele ich einen Kriegsverbrecher aus dem Kongo. Das Spannende an meinem Beruf ist ja, dass man unterschiedliche Figuren spielen kann. Bedauerlicherweise sehe ich aber viel zu selten Menschen wie mich im Fernsehen. Schwarze Deutsche. Leider werden Schwarze dort noch zu oft als Ausländer oder Opfer gezeigt, die kein akzentfreies Deutsch können.

Selbstverständlich gibt es schwarze Ausländer und auch ihre Geschichten, aber es gibt uns schwarze Deutsche eben auch. Ich denke, dass die Definition des Deutschen generell an die heutigen Zeiten angeglichen werden muss. Deutsche findet man eben in allen Hautfarben und Varianten und wir tragen die deutschen Tugenden ebenso in uns wie jeder andere auch.

Ich bin durch und durch ein Hamburger Jung. Kommt es allerdings vor im Fernsehen, dass ein Schwarzer mal Deutsch in seiner Rolle spricht, muss dem Zuschauer auch sofort erklärt werden, warum er das denn kann. Es wäre viel einfacher, wenn man es einfach mal so hinnimmt, wie es mittlerweile ja auch Realität in Deutschland ist. Die Menschen sind nun nicht mehr wirklich überrascht, wenn man in den heutigen Großstädten unterwegs ist und Deutsche in allen Hautfarben vorfindet, die natürlich Ihre Muttersprache akzentfrei sprechen können.

Dazu kommt, dass es schon sehr lange Realität ist, Schwarze in allen Berufsgruppen vorzufinden. Es gibt schwarze Polizisten, Anwälte, Büroangestellte, Manager, Ärzte, Facharbeiter, etc. Das ist keine Besonderheit und muss heutzutage nicht mehr gesondert erklärt werden. Das Fernsehen darf da gerne mutiger sein. Außerdem sollte man uns mehr in solchen alltäglichen Rollen sehen, denn gerade in politisch so herausfordernden Zeiten wie heute, ist es wichtig, dass diese Normalität Einzug hält ins deutsche Fernsehen. Was der Zuschauer regelmäßig ohne große Erklärung dort sieht, nimmt er auch an und es wird für ihn zur Normalität.

Deutschland ist bunt und das wird sich auch nicht mehr ändern. Ebenso sind es seine Zuschauer. Zusätzlich bietet diese Vielschichtigkeit unserer Gesellschaft den Filmemachern auch eine Vielzahl an neuen Geschichten und anderen Sichtweisen, aus denen die Kreativen komplett schöpfen können. Das bedeutet neue Blickwinkel und im Endeffekt Veränderung des Fernsehens und mehr Arbeit für alle Beteiligten.

Jerry Kwarteng, Foto von Marco Fechner

Foto von Marco Fechner

Es nimmt also auch niemand irgendjemanden etwas weg. Ganz im Gegenteil. Es ist an der Zeit, Stereotypen und Klischees abzubauen, die eben auch eine Gesellschaft formen können, anstatt diese abzubilden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Sender sich diesen tollen Möglichkeiten in Zukunft aber mehr und mehr bedienen werden. Es ist sehr wünschenswert, dass auf mich bezogen, ich auch zu einem Casting eingeladen werden kann, ohne dass die Rolle im Buch explizit als Schwarzer gekennzeichnet ist.

JJ: Jerry, mal weg vom Schauspiel. Du bist Norddeutscher. Ich habe ein Jahr in Bremerhaven und zwei Jahre in Bremen gelebt. Wenngleich ich nicht wirklich schimpfen kann über Land und Leute, war ich doch mehr als froh, wieder nach Hause ins bergige, gastfreundliche Thüringen zu kommen. Erkläre mir bitte mal, warum du dich im Norden wohl und heimisch fühlst?

Jerry Kwarteng: Ha, ha, ha. Also ich muss gestehen, das hat wohl damit zu tun, wo man aufgewachsen ist. Ich bin in Hamburg geschlüpft und bin dort groß geworden. Was ich an uns Norddeutschen so mag, dass wir sehr höflich, hilfsbereit und ausgelassen sind und zur selben Zeit drängen wir uns keinem auf. Daher denkt man häufig, dass wir aus dem Norden unterkühlt sind. Wir lassen die Leute halt in Ruhe. Wenn man uns aber mal zu Freunden hat, sind wir es durch dick und dünn. Das entspricht komplett meinem Charakter. Wir in Hamburg lassen uns von so ein bisschen Regen nicht die Laune verderben, aber deswegen rennen wir nicht mit einem Grinsen durch die Gegend, unter uns haben wir immer was zu lachen.

Mit dieser Einstellung bin ich immer gut durchs Leben gekommen. Ich habe ja auch Jahre in England, den USA und Spanien gelebt, meine norddeutsche Art habe ich immer behalten. Ich bin aufgrund meines Berufes viel unterwegs. Ich drehe mehr im Ausland als in Deutschland, da ich auch eine Schauspielagentur in England habe und ich finde immer einen Weg, um mich woanders wohl zu fühlen, aber wenn ich nach Hamburg fahre, spüre ich eine besondere Art von Energie, die sich von den Menschen auf mich überträgt. Ich denke, so geht es jedem in seiner Heimatstadt und das ist ja auch gut so. Ich lebe mittlerweile in Berlin und das sehr gerne, es ändert aber nichts daran, dass ich immer ein Hamburger Jung bleiben werde. Macht das Sinn?

JJ: Absolut. Was liegt bei dir in diesem Jahr schauspielerisch noch an?

Jerry Kwarteng: Bisher sind ein paar Theateranfragen und Anfragen für Independence Filme gekommen und ich werde sicher die eine oder andere annehmen. Ich mag Independence Filme sehr, auch wenn es oft Probleme gibt, dafür einen Vertrieb zu finden, so trauen sich die Macher oft mehr. Da diese Filme nicht dem Produktionsdruck unterliegen und einfach kreativ erarbeitet werden können. Ich hatte auch ein paar Castings für den internationalen Markt. Ich werde dieses Jahr mal meine Fühler in Richtung Synchron ausstrecken. Es gibt da ein paar interessante Projekte, an denen ich eventuell teilnehmen darf. Ich freue mich auch, wenn noch die eine oder andere Anfrage für das deutsche Fernsehen kommt.

JJ: Danke, Jerry

Foto Startseite: Paul Partyzimmer

 

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