Maschula auf Abwegen

 

Der irre Duft von frischem Heu war überall. Ausgehend von den Wiesen am Rande des Dorfes nahmen ihn die prall gefüllten Leiterwagen der Bauern mit über die Straßen in die Höfe und Häuser.

 

Ein irrer Duft von frischem Heu

 

An unserem Grundstück mussten alle Gespanne vorbei. Gezogen von Kühen oder Pferden. Die Landwirte holten das Futter für ihr Vieh ein. Sie pressten das Heu in die Scheunen.

Jedes Tier, das bei ihnen im Stall stand, hatte einen Namen. Egal ob Kühe oder Schweine, Pferde, Hühner, Gänse, Enten oder Ziegen, sie bestimmten den Tagesablauf der Leute auf dem Land. Frühs ging es zuerst in den Stall, dann an den eigenen Frühstückstisch.

Foto von Kunstzirkus / pixelio.de

Meine Eltern waren keine Bauern. Ein bis zwei Schweine hatten wir dennoch meistens im Stall, manchmal Hühner, manchmal Enten – und ganz viele Bienen. Die Sau hieß in der Regel Maschula und rekelte sich in der Ferkelzeit unter einer Rotlichtlampe. Stall misten war mein Job als Kind und Jugendlicher, mein Vater oder meine Mutter beaufsichtigten das rosa Tier während der Zeit im Hof.

Manchmal büxte Maschula in den Garten aus und durchfurchte die Beete. Wenn sie dann nicht schnell eingefangen werden konnte, um Schlimmeres zu verhindern, rastete mein Vater aus und rief: Hanna, die Axt! Die Axt!!

 

Fort, weit fort…

 

Keine Angst, dazu kam es nie. Also zum Einsatz brachialer, scharfkantiger Hilfsmittel. Geschlachtet wurde dennoch irgendwann. Ich war an dem Tag weit weg. Als Kind irgendwo im Dorf – bis in die Abendstunden, da alles vorbei, aufgeräumt und gesäubert war; und als Jugendlicher noch weiter fort, in Eisenach auf der Wartburg oder in Erfurt einkaufen. Nur weg.

Auch das frischgeschlachtete Zeug, von dem alle so schwärmten, mochte ich nie. Optisch nicht und den Geruch nicht. Wenn es am Sonntag Thüringer Klöße gab (Leute, es gibt nichts besseres!), wollte ich lieber einen, besser zwei mehr – und dafür kein Fleisch. Die Eltern oder die Oma bestanden aber darauf: „Jung, das braucht der Körper!“

Peu à peu verschwand diese ländliche Idylle. Ich bekam mit, wie die Scheunen der Bauern immer weniger Heu lagerten, dafür irgendein Futter in Säcken, das schnelleres Wachstum versprach. Oder die Tiere wurden abgeschafft. Dafür schossen anderswo Riesen-Ställe aus dem Boden.

Foto von Rudolpho Duba pixelio.de

In den Gärten vor und hinter den Häusern verschwanden Obstbäume, Gemüse- und Kräuterbeete. Die Leute holten alles, was sie über Jahrhunderte selbst produzierten, nun aus den immer größer werdenden Läden. Keiner wusste mehr, was er da aß.

 

Jahre… Jahrzehnte später…

 

… ist alles anders. Was zu meiner Zeit normal war, wird nun „Bio“ oder „Öko“ genannt und gilt als revolutionär und neu. „Herkömmlich“ dagegen ist die Bezeichnung für chemisch oder genetisch verseucht. Oder für Massentierhaltung. In Verhältnissen, die für die Tiere alles andere als artgerecht sind, leben Millionen, wohl Milliarden von Rindern, Hühnern, Enten, Gänsen oder Schweinen in ständiger Qual. Von der Geburt bis in den Tod.

Das heißt, sie leben nicht wirklich. Und sie haben keine Namen mehr, sondern Nummern. GH678Z677 statt Maschula.

Oft dachte ich darüber nach, kein Fleisch und keine Wurst mehr zu essen. Oder keine Milchprodukte (das regelte der Körper auf clevere Weise durch Unverträglichkeit). Rohes Fleisch oder gar Gehacktes lösten eh von je her Brechreiz in mir aus. Doch würde ich dann satt? Wäre das gesund, vollwertig?

 

Nie wieder. Nie.

 

Für ein Onlinemagazin schrieb ich über Massentierhaltung. Als ich über das Thema mit Tina Kaiser, einer Münchner Moderatorin, telefonierte, erzählte sie von einer Fernsehsendung, in der sie an einer Diskussionsrunde teilnahm. Sie nannte mir einen Link, unter dem ich im Internet nachschauen konnte.

Es ging um Schweine. Schweine wie Maschula. Eigentlich. Aber nicht wirklich. Diese Schweine wurden nicht unter einer Rotlichtlampe verhätschelt im Ferkelalter, sie wurden kastriert. Ohne Betäubung. Gesetzeskonform.

Nicht das alleine indes machte mich sauer wie Essig Essenz. Vielmehr wie die sogenannten Tierpfleger dem Tierarzt die Ferkel zur Vollstreckung reichten, so wie man beispielsweise verdreckte Putzlappen entsorgt – rational und teilnahmslos – das versetzte mich in diesen Zustand einer Mixtur aus Wut, Verzweiflung, Trauer – und dem Willen, etwas tun zu müssen. Diese Gemütslage in mir war unterlegt durch die Geräusche, die quiekende, gequälte Ferkel von sich geben.

Hätte die Salami, die zu jenem Zeitpunkt im Kühlschrank lag, nicht jemand anders gegessen, läge sie heute noch da. Ich beschloss exakt in dem Moment im September 2009, nie wieder Fleisch oder Wurst zu essen. Okay, nicht ich behandelte die Lebewesen, die Menschen gönnerhaft und anmaßend „Nutztiere“ nennen und sie so jeden Rechtes berauben, mies, nicht ich quälte sie bewusst, und nicht ich tötete sie. Aber ich gab genau das mit meinem Kauf und Verzehr, mit meinem Bedarf, in Auftrag.

Jörg Joachim; Foto von Jazzy Fox

Ab jener Sekunde nicht mehr. Ein bisschen schwierig gestaltete sich zunächst nur die Abendmahlzeit. Frühs gibt es eh andere Sachen aufs Brot oder Brötchen. Und zu den Klößen brauchts auch keinen Braten. Selbst beim Döner, so stellte ich fest, stört die Fleischeinlage nur, sie nimmt den Raum für frische Tomaten oder würziges Rotkraut.

Woran ich gar nicht dachte, was aber kräftig zu Buche schlägt: Meine Hausärztin, die Wochen vor jenen Ereignissen noch Alarm schlug nach einer Blutanalyse und meiner Leber ein baldiges Ende prophezeite (obwohl ich kein fettes Fleisch verzehrte und trotz Alkoholverzicht ever), rief nun Zahlen im tiefgrünen Bereich aus.

 

Es stinkt

 

Ich bin seither raus aus der Nummer. Raus aus Gammelfleischskandalen, raus aus der Bedrohung durch antibiotikaverseuchtes Fleisch, raus aus miesen Blutwerten und raus aus der moralischen Verantwortung. Wer nicht raus ist, sind die Tiere. Für sie stinkt das Leben nach Leid und Tod und duftet schon lange nicht mehr irre nach frischem Heu.

 

JJ

Foto Startseite: Rudolpho Duba/pixelio.de

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