Jetzt die großen Rollen

 

Wenn Nadja Zwanziger am Set vor die Kamera tritt und der Regisseur „Bitte“ sagt, verschwindet sie im Nichts. Für Sekunden. Oder Minuten. Bis das „Danke“ des Regisseurs zu hören ist. „In dem Moment bin ich voll Profi“, erklärt sie das physikalisch Unmögliche, „ein geht nicht gibt es nicht, ich mache genau das, wovon ich denke, dass die Regie es will. Es gibt keine Nadja mehr! Nur noch die Rolle.“

Von jetzt auf gleich

Wie lange sie benötigt, um in jenen Zustand zu gelangen, sei unterschiedlich und ganz von den Emotionen abhängig. Von den eigenen privaten – und von den in der Rolle zu liefernden. „Es kann einige Minuten dauern und kommt drauf an, wie lange ich im Projekt drin bin. Meistens aber schalte ich von jetzt auf gleich um.“

Foto: (c) Drei-Blick

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Manchmal indes gestaltet sich das Abtauchen ins Nichts kompliziert und ein Abtauchen ins Nass lauert nur Zentimeter entfernt. Wie beim Tatort Münster („Schwanensee“), der Fernsehsendung mit den höchsten Einschaltquoten in Deutschland im Jahr 2015. Da war Nadja die Mörderin. „Natürlich war es grandios, wieder mal im Tatort mitmischen zu können. Die Mörderin, sonst eine der wichtigsten Figuren, war es in dieser Folge aber nicht. Sie wurde lange nicht gezeigt. Erst ganz am Schluss. Die Szene auf dem Tretboot war schwierig. Erstmal steige ich als Nadja ein, mit meiner Höhenangst, meiner Skepsis gegenüber wackeligen Booten und engen Räumen. Dann war das Gefährt, auch durch den Gewichtsunterschied zwischen meinem Spielpartner und mir, sehr schwer zu steuern, drehte sich eher im Kreis. Es hat schon einige Tapes gebraucht…“, erinnert sie sich, „es waren viele Dinge, auf die ich mich konzentrieren musste und irgendwann platzte der Knoten, ich ließ die Gefühle frei und war in dem Moment in der Rolle.“

Der Schrei

Dann geschah es. Nicht Nadja Zwanziger, sondern die von ihr verkörperte Figur, die Mörderin, stieß einen Schrei aus. Lange und eindringlich lag der Klang ihrer Stimme überm See – und stand nie im Drehbuch, war nicht vom Regisseur vorgesehen. „Ich möchte als Schauspielerin was zu tun haben“, erläutert sie, „nicht einfach nur lapidar anwesend sein, mit dem Schrei gelang es mir, der eher gesichtslosen Randrolle doch etwas mitzugeben.“

Das Talent dazu hatte Nadja schon immer. „Ich war ein fröhliches, quirliges Kind, stand deshalb oft im Mittelpunkt, spielte in der Grundschulzeit die Maria im Krippenspiel und war auch stets an Schulen, die meine Kreativität unterstützten“, wirft sie einen Blick zurück, „auch meine Mutter war klasse. Nur von meinem Vater, da kam immer und immer und deutlich dieses: Das schaffst du nicht! Das saß tief. Lange, sehr lange.“

Deshalb hat Nadja sich nicht getraut, eine Schauspielschule zu besuchen. Menschen, die ihr begegneten und sagten: „Du musst das machen mit dem Schauspiel, sonst wirst du unglücklich“ änderten an ihrer Unsicherheit ebensowenig, wie diejenigen, die ihr Talent attestierten. Selbst als sie im Alter von 20 Jahren an einem Messestand einer Agentur fragte, wie sie Schauspielerin werden könne, zum Casting eingeladen wurde und dieses mit Bravour bestand, reichte dieser Rückenwind zunächst nicht aus, Pessimismus und Zweifel zu zerstreuen.

Ein Typ

Foto: (c) Drei-Blick

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Darum, so schätzt Nadja Zwanziger ein, sei sie auch kein Vorbild für junge Menschen, die in den Beruf möchten. „Lernt was Vernünftiges, oder aber wisst vorher, auf was ihr euch einlasst. Wenn Ihr bereit seid, einen harten Weg zu gehen, um das zu tun, was Ihr liebt, dann macht es“, würde sie ihnen raten.

Mittlerweile weiß die Darstellerin, was sie kann, und wenn sie häufig gesagt bekommt, sie sei „ein Typ“, kann sie das Lob gut akzeptieren. „Jetzt ja, jetzt kann ich das“, bestätigt Nadja, „jeder Regisseur bekommt von mir genau das, was er sucht. Ich kann die Rollen spielen, die verlangt werden. Ich kann dafür meine Höhenangst überwinden, die Hüllen fallen lassen, bin bereit, mich auf alles einzulassen, egal, ob der Zuschauer lachen oder weinen soll. Ich bin Deutschlands schönste dicke Schauspielerin!“ Und sie will ausschließlich Schauspielerin sein. „Regisseure und Produzenten müssen nur den Mut und die Lust dazu haben.“

Irgendeine bestimmte oder klassische Traumrolle habe sie dabei nicht vor Augen. „Ich möchte jetzt gerne große Rollen, in denen ich wirklich spielen, mit dem Regisseur und dem gesamten Team viel Zeit verbringen kann, um die Figur zu erarbeiten. Dann mache ich sie zu meiner Traumrolle“, zeigt die Schauspielerin sich ambitioniert und selbstbewusst.

Süß, schön, oder wie ausgespuckt

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Die Situation für Darstellerinnen abseits unsinniger Modelmaße sieht Nadja in den USA beispielsweise deutlich offener und und weniger verknöchert. Nicht nur aus diesem Grund mag sie, sogar ein bisschen mit Vorbildcharakter, Melissa Ann McCarthy (unter anderem Gilmore Girls, Mike & Molly, Taffe Mädels). „Sie kann süß und schön aussehen und im nächsten Moment wie ausgespuckt, sie kann nicht nur ein Genre, sondern alle Emotionen bedienen“, schwärmt Nadja Zwanziger, und fügt hinzu: „Und das kann ich auch.“

Überhaupt und generell sind es diese Vielschichtigkeit im Beruf, dieser Zustand, nicht festgelegt zu sein oder zu werden, dieses sich einbringen, was die Schauspielerin fasziniert und gleichwohl das, was sie selbst möchte. Und wenn in so einer Situation die Nadja als Privatperson für Sekunden oder Minuten verschwindet, muss sich niemand Sorgen machen. Sie ist dann da zu finden, wo sie sich wohl fühlt und wo sie hinein passt – in ihrer Rolle.

JJ

Weitere Informationen: http://www.nadjazwanziger.de/index.html

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