Zwischen Stille und Bewegung

Annika Hofgesang ist Tänzerin. Oder besser gesagt Künstlerin. Sie betrachtet die einzelnen Genre nicht voneinander isoliert. Das und viel mehr erzählt sie uns selber. Nur hier, nur jetzt:

Annika Hofgesang
Annika Hofgesang

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„Tanz, Schauspiel, Musik und Malerei waren für mich im Leben schon immer ein Zusammenspiel“

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JJ: Annika, was ist Tanz für dich, sicher mehr als nur Bewegung nach Musik?

Annika Hofgesang: Tanz ist für mich ein Ausdruck zwischen Stille und Bewegung – was passiert zwischen dem Ein- und Ausatmen. Tanz ist für mich mehr als eine Choreografie einzustudieren, sondern spontan zu handeln auf das, was oder wer mich bewegt.

Diese Bewegung kann und soll für mich immer eine andere Note haben als zuvor. Im Tanz finde ich meinen Ursprung und meine Energie wieder, die unzerstörbar ist in dem Moment. Die Technik und Möglichkeiten, die ich gelernt habe, sind mein Werkzeug für das, was ich audrücken möchte.

JJ: Du hast in deiner Kindheit klassisch getanzt. Ich weiß, klassischer Tanz bedeutet Disziplin, Disziplin und Disziplin. Hast du das damals so empfunden, war das okay bzw. normal für dich?

Annika: Ich habe mit sechs Jahren angefangen Ballett zu tanzen und habe mich sehr wohl im klassischen Tanz gefühlt. Die Musik, Disziplin und die strukturierten Abläufe gaben mir eine gewisse Sicherheit, worauf ich mich einlasse.

Es ist sehr spannend zu erfahren, wozu Körper und Geist fähig sind, denn im Klassischen Ballett will man die Schwerkraft überwinden und lernt gleichermaßen den Körper in teilweise extrem unorganische Positionen zu führen, die natürlich auch anatomisch individuell ausgeprägt sind.

Doch es wurde immer schwieriger, vor allem als ich dann ins Theater Duisburg gewechselt bin. Ich selbst musste entscheiden, bleibe ich in der Gruppe, wo ich mich sicher fühle, oder will ich ins kalte Wasser springen und mich richtig anstrengen und vielleicht in Kauf nehmen, dass ich nicht unter den Besten bin. Ich habe mich für das Zweite entschieden.

Annika Hofgesang
Annika

Ich habe mich immer mit den „Besten“ gemessen. Durch das Training habe ich viel gelernt, aber auch viel Enttäuschung erlebt.

Die Vergleiche und die Misserfolge waren nicht immer einfach zu verdrängen, wenn man ehrgeizig ist, gerade im klassischen Tanz und wenn du in einem gewissen Alter in Unsicherheiten steckst und deinen Körper noch nicht ganz erforscht oder akzeptiert hast. Jedoch würde ich es immer wieder so machen, da mir das klassische Ballett, die Musik und die Herausforderung sehr viel Freude bereitet haben.

JJ: Was passiert in dir, während du tanzt; was fühlst du, denkst du an Technik oder bist du komplett in einer Art eigener Welt?

Annika: Es kommt auf viele Faktoren an. Improvisiere ich, studiere ich eine Choreografie ein, die perfekt sitzen muss – wie frei darf ich sein, was gibt der Dozent mir an Informationen, kann ich mich in ihm/ihr und seiner/ihrer Philosophie wiederfinden oder mich mit ihr auseinandersetzen, und in welcher Situation befinde ich mich?

Meistens reagiere ich im Tanz so, wie ich mich gerade in dieser Situation fühle. Dann bin ich definitiv in einer anderen Welt, und die kann sehr vielseitig sein.

Sind jedoch Technik und Präzision gefragt, konzentriere ich mich auf meinen Körper und versuche von Kopf bis Fuß alles in Einklang zu bringen. Der Prozess des Tanzens ist sehr komplex, und man muss viel Geduld mit sich und seinem Körper haben, um am Ende so zu tanzen, wie man ist 🙂

JJ: Bist du dabei in einer Rolle oder ganz du selbst, Annika?

Annika: Meine Rolle ist immer ein Teil von mir. Ich kann nicht gut schauspielern, Ich bin das, was ich sein möchte, oder versuche das in mir zu entdecken, was ich sein soll.

JJ: Apropos Rolle; in „DRACYOR – Unravelling Principles“ beispielsweise spielen alle Beteiligten Rollen, irgendwie ein Zwischending Schauspiel und Tanz. Ist das ein eigenes Genre, wenn ja, wie nennt es sich, warum machst du das gerne?

Annika: Tanz, Schauspiel, Musik und Malerei waren für mich im Leben schon immer ein Zusammenspiel, das mich als Künstlerin widerspiegelt. Vielleicht weil sich alles Genre seit meiner Kindheit durch mein Leben gezogen haben, bis heute.

Die Künste miteinander zu verknüpfen geht für mich über das Tanzen hinaus. All diese Künste tanzen für sich, nur haben alle eine andere Herangehensweise und Form, die ich versuche miteinander als Geschichte zu verbinden.

JJ: Und: Gerne am Beispiel von „DRACYOR – Unravelling Principles“ (aber auch an einem anderen), wie ist der Ablauf von Idee bis fertiges Video oder Bühnenstück?

Annika: Ich sehe eine Künstlerin oder einen Künstler, ihre Werke, ich beobachte Menschen, die etwas besonderes für mich haben oder einfach zur richtigen Zeit für mich am richtigen Ort bei mir sind. Somit entwickele ich nach und nach die Idee und das Konzept, es dauert manchmal Monate, da ich in jedem Bild, in jeder Figur etwas sehe, was die Geschichte trägt und ausmalt oder weitererzählt.

Annika Hofgesang

Meist fügt sich das von selbst, es ist sehr magisch. Die größte Herausforderung ist die Organisation, das Team, die Technik, vieles klappt nicht immer, wie man es sich vorstellt, da sehr viele Leute daran beteiligt sein müssen.

Das Budget, wenn es eins gibt, reicht oft kaum aus, wenn man alles selbst in die Hand nimmt. Was hinter einem Film oder Bühnenstück an Arbeit steckt, bleibt leider oft für den Zuschauer unsichtbar.

JJ: Irgendjemand schrieb mal im Zusammenhang zum Kurzfilm „Der Tisch“ von „surrealen Bildern“ und „offen bleibenden Bildern“. Hat er bzw. sie das richtg erkannt?

Annika: Ja, die Bilder sind oft einfach in der Darstellung und zeigen teilweise klare Personifikationen und Gegenstände. Doch im Zusammenhang liegt die Herausforderung, herauszufinden, was der Film oder die persönlichen Erfahrungen der Zuschauer daraus entschlüsseln können oder wollen 🙂

JJ: Was fasziniert dich an den Tätigkeiten als Choreografin, Dramaturgin und Regisseurin?

Annika: Menschen mit Themen und der eigenen Interpretation zusammen zu bringen. Ich mache nicht viele Produktionen, und auch wenn ein Tanzstück nur zehn statt 60 Minuten lang ist, steckt dahinter meist die gleiche Arbeit.

Ich befasse mich intensiv mit einem Thema und auch dem Prozess. Das Ergebnis zeigt am Ende nur ein Bruchteil von dem, was wirklich dahintersteckt. Für mich ist es wichtig, dass dieses Stück vom tiefen Wunsch kommt, dieses zu entwickeln und anschließend zu präsentieren.

Ich mag es, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die offen, motiviert und engagiert sind. Es ist faszinierend, wieviel unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinandertreffen und eine Geschichte erzählen oder spielen. Ich erlebe im Prozess oft ein familiäres Gefühl von gegenseitigem Verständnis und Zusammenhalt, welches ich in der Gesellschaft oft vermisse.

Für mich ist es wichtig, eine leitende Rolle gut, diszipliniert und respektvoll zu erfüllen, so wie ich es selbst gerne von leitenden Personen hätte. Die Dramaturgie ist sehr spannend, da in jedem Leben die Dramatik individuell von Menschen zu Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist. Was der eine spannend findet, langweilt den anderen. Mir ist wichtig, eine gute Mischung aus Humor, Surrealismus, Fantasie und aktuellen gesellschaftlichen Themen ausgewogen zu beachten.

JJ: Und was macht dir Freude daran, Modern Contemporary zu unterrichten, Annika?

Annika: Der Zeitgenössische Tanz ist eine Verbindung verschiedener Stile und Techniken. Je nach Gruppe kann man den Unterricht unterschiedlich gestalten. Ich arbeite oft mit Isolation, Kampftechniken und auch Einflüssen aus dem Afrikanischen Tanz.

Annika Hofgesang
Annika Hofgesang

Ich bereite den Unterricht oft mit der Basis von Boden-Sequenzen auf, sodass wir den Kontakt zum Boden und zu den Wurzeln mit unserem Körper entdecken, denn die Kraft kommt nun mal daher. Ich arbeite mit Anspannung und Entspannung, um eine fließende und gleichmäßige Atmung (unter anderem) zu erreichen, um spätere Abfolgen fließender oder akzentuierter gestalten zu können.

Mit der Basis der Technik und dem Bewegungsvokabular haben meine Schüler die Freiheit, ihren individuellen Ausdruck zu entwickeln und zu entfalten, was mich wiederum selbst zu Kreativität beflügelt. Schüler / Lehrverhältnis von Geben und Nehmen sollte für mich immer ausgewogen sein.

JJ: Du hast mal einige Jahre Karate trainiert, ist die dadurch wahrscheinlich verbesserte Körperbeherrschung und Konzentrationsfähigkeit hilfreich für den Tanz?

Annika: Auf jeden Fall! Ich habe durch das Karatetraining gelernt, wieviel Arbeit es ist, sich zu konzentrieren und die Technik sauber auszuführen, vor allem Geduld zu beweisen. Im Gegensatz zum Ballett, das im Kindesalter noch teilweise spielerisch ausgeführt wird, wird im Karate schon sehr viel Technik und Disziplin verlangt. Insbesondere die Kraft und die Reaktionsfähigkeit haben mir sehr im Tanz geholfen.

JJ: Annika, da wo ich herkomme, in der Rhön, gibt es Wunschfeen. Tief im Wald. Zwei oder drei. Wenn dir eine begegnet, was wünscht du dir beruflich?

Annika: Ich würde sehr gerne meine eigene Tanzcompany weiterführen, ob in den eigenen vier Wänden oder im Theater festangestellt. Kurzfilme machen und selbst auf der Bühne stehen möchte ich in Zukunft auch gerne wieder.

JJ: Vielen Dank. Viel Erfolg dabei, mehr Spaß und noch mehr Gesundheit!

Annika Hofgesang
Annika Hofgesang

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Weitere Informationen: https://www.instagram.com/annika_hofgesang/ oder https://www.facebook.com/A.Hofgesang

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