Halbidiot – ab Herbst

 

Joël von Mutzenbecher arbeitet als Moderator, Schauspieler und Comedian. Ab Herbst ist der Schweizer mit seinem neuen Programm „Der Halbidiot“ unterwegs auf den Bühnen seines Heimatlandes.

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Die „Basler Zeitung“ erkannte Joël mal als „Multitalent der Unterhaltung“ und die Fans wählten ihn zum Gewinner des „Swiss Comedy Award“ Publikumspreises 2015. Aktuell hält sich der junge Mann in den USA auf.

Von da aus beantwortet er uns einige Fragen. Hier und jetzt:

 

„Ein unglaublich befreiendes Gefühl, das bis heute anhält“

 

JJ: Joël, auf deiner facebookseite hast du deine Fans und Freunde aus „Trumpland“ gegrüßt. 1. Bist du dort aus beruflichen Gründen (wenn ja, was treibst du da?)

Joël von Mutzenbecher: Die Amerikaner nennen das, was ich hier mache, gerne „work-vacation“ – also „Arbeitsferien“. Das trifft den Nagel ziemlich auf den Kopf, denn ich bin nämlich in Trumpland, um an meinem dritten Soloprogramm für die Schweiz zu arbeiten. Und meine wöchentliche SRF-Webshow „vo Mutzebächer“ schreibe und drehe ich auch hier, die ist zum Glück nicht an einen Ort gebunden.

Aber selbstverständlich mache ich das nicht 24/7, da bleibt genügend Platz für anderes. Unter anderem war ich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Baseball-Spiel. Heiratsantrag auf der Leinwand inklusive. Ich habe aber „nein“ gesagt.

Und ich durfte bei verschiedenen Late Night Shows im Publikum sitzen – konkret bei Colbert, Noah und Corden. Außerdem habe ich in New York einen Open-Mic Auftritt hinter mir. Eine nervenaufreibende Sache. Fünf Dollar bezahlen, um fünf Minuten auftreten zu können. Vor 20 anderen Komikern, die auch nur ihren Auftritt hinter sich haben wollen, wohlgemerkt. Es lief allerdings besser als erwartet.

JJ: 2. Spürst du in den USA auf Schritt und Tritt, dass ein etwas anderer Präsident sein Unwesen treibt oder geht das im Alltag unter?

Joël: Man spürt es schon ein wenig. Der Trump-Tower in New York wird rund um die Uhr schwer bewaffnet bewacht und in Kalifornien schämen sich alle, wenn man nur ansatzweise das Gespräch in Richtung Politik lenkt. Lustigerweise gibt es in Los Angeles auch keine Trump-Supporter, respektive sie geben es einfach nicht gegenüber anderen Menschen zu. Außer es fährt ein Schweizer in ihrem Taxi. Dann können sie es endlich mal loswerden. Und jedes Mal mit dem Einleitungssatz „Don’t judge me, but…“. Ist mir bisher drei Mal passiert, ohne Scheiß.

JJ: Bevor wir so richtig in medias res gehen; durch deine Heimat, die Schweiz, bin ich nur mal durchgefahren. Wunderschöne Landschaften, malerische Dörfer – war mein Eindruck. Als es ans Mittagessen bezahlen ging, dachte ich allerdings, das war die Rechnung für eine Saalrunde. Erzähle mal bitte, wie siehst du persönlich dein Land?

Joël: Was nichts kostet, ist nichts wert. Nein, ernsthaft: Ich liebe die Schweiz. Und mit jedem Jahr mehr und mehr. Dank der Comedy spiele ich an den verschiedensten Orten und kann immer wieder neue Flecken dieses kleinen, aber vielseitigen Landes entdecken.

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Das ist so meine grundsätzliche Ansicht, aber natürlich könnte ich stundenlang über die Schweiz reden. Deshalb mein Vorschlag: Damit wir hier nicht den Rahmen sprengen, machen wir das doch beim nächsten Gespräch.

JJ: Du bist in Sachen Comedy, Schauspiel und Moderation am Start, Joël. Was ist für dich ganz persönlich die Faszination Bühne?

Joël: Das ist eine sehr schöne Frage, denn oft überlegt man sich das Wesentliche eines künstlerischen Berufes gar nie. Man macht einfach – irgendwie. Es zu erklären, ist fast noch schwieriger. Aber ich versuch’s mal mit zwei Sport-Vergleichen. Kampfsport und Surfen: Ich bin grosser Kampfsport-Fan und oft sagen Kämpfer, dass wenn sie im Ring oder Käfig stehen und die Runde losgeht, sie zu 100% sie selbst sind. Gedankenlos, einfach frei. Und ich empfinde es gleich.

Wenn ich auf der Bühne stehe und Stand-Up mache, dann kann ich einfach… „sein“. Und ich bin angstlos, was mich schon immer überrascht hat. Ich habe auf der Bühne keinerlei Angst. Das ist schon mal ein grundsätzlich toller Zustand.

Jetzt kommt noch das Element des Surfens dazu. Ich muss dazu sagen, dass ich kein wahnsinnig guter Surfer bin und deshalb von meiner persönlich Erfahrung rede. Man sitzt draußen im weiten, fast unendlich scheinenden Meer, beachtet unglaublich viele Faktoren und wartet auf Wellen. Man sieht eine kommen, paddelt drauf los, steht auf und… erwischt sie manchmal, manchmal auch nicht. Manchmal besser, manchmal schlechter. Zum Teil ist man stundenlang im Wasser, nichts gelingt, man ist frustriert, zweifelt an sich und der Umwelt, möchte aufgeben.

Und dann erwischt man die vermeintlich „perfekte“ Welle, die man dann gefühlte Ewigkeiten reiten kann und die die elenden Stunden davor sofort vergessen macht. So kommt es mir vor, wenn ich einen guten Auftritt habe, sprich wenn ich das Publikum richtig gelesen habe, das Material funktioniert, ich mich wohl fühle, dazu improvisiere, die Leute dabei sind und merken, dass da etwas spezielles passiert. Dass da eine einzigartige Energie im Raum ist, die auf beide Seiten funktioniert. Dann ergibt das eine perfekte Symbiose. Das Publikum hat Spaß, ich habe Spaß und am Ende bedanken wir uns gegenseitig für den tollen Abend.

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Und in diesen Momenten sind all die Stunden, die man mit Selbstzweifeln am Material gearbeitet hat, kompensiert und vergessen. Ich hoffe, man kann das einigermaßen nachvollziehen. Falls nicht, Conan O’Brien hat mal gesagt: „Das Gefühl, auf der Bühne einen Lacher zu kriegen, ist wahrscheinlich dasselbe, wie wenn man sich Crack direkt in die Venen spritzt. Ohne zu wissen, wie sich das anfühlt, stelle ich es mir so vor.“

JJ: Hat der ganze Spaß so angefangen, dass du schon als Kind der Quatschmacher warst, der gerne in der Mitte stand und die anderen unterhielt?

Joël: Jein. Ich stand gerne in der Mitte, die anderen fühlten sich einfach nicht unterhalten.

JJ: Erzähle mal bitte von den beiden Momenten – als du zum ersten Mal als Comedian auf der Bühne gestanden hast und als du dich entschlossen hast: Das wird mein Beruf!

Joël: Das war eigentlich ein und derselbe Moment, der 1. November 2013. Ich war schon einige Jahre als Schauspieler und Moderator tätig, machte verschiedene Sachen im TV und auf verschiedenen Bühnen. Und je nach Projekt hatte ich manchmal mehr oder weniger das Gefühl „das stimmt für mich“. Zum Beispiel empfand ich bei Improvisationen in einer Theaterkomödie oder bei einem guten Talk in meiner damaligen „Primetime Show“ im Häbse-Theater Basel eher eine persönliche Erfüllung, bei Moderationen am Radio weniger.

Irgendwann in den Jahren 2011 und 2012 war ich dann an einem sehr depressiven Punkt in meinem Leben und musste alles hinterfragen. Ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, in den Medien zu arbeiten. Wie ich weiterhin Miete bezahlen kann und soll. Ob ich vielleicht etwas ganz anderes machen soll. Und falls ja, wie – so ganz ohne Ausbildung. Ich hatte mich dann entschieden, meinen schon jahrelang in mir schlummernden Traum zu verwirklichen und ein Stand-Up Soloprogramm zu schreiben.

Regisseur organisiert, der mir in den Arsch tritt, Theater angerufen, um ein Premierendatum zu fixen und drauf los geschrieben. Dann habe ich entschieden, im Mai 2013 meine letzte „Primetime Show“ aufzuführen und gleichzeitig zu verkünden, dass ich im Herbst mit meinem Solo auftreten werde. Der Plan ging auf und die Show verkaufte sich aus. Nach zwei Kurz-Auftritten bei Open Mics hatte ich also am 1. November 2013 Premiere mit ca. 80% noch nie performten Material. Für heutige Maßstäbe fast undenklich.

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Ich stand auf der Bühne, Mikro in der Hand, laberte mein mehr oder weniger gutes Zeug runter und hatte zwei Stimmen im Kopf. Die eine sagte: „Die Nummer war überhaupt nicht lustig… Hier war der Gag zwar ok, aber da musst du noch am Timing arbeiten… Oh, hier kam der Gesichtsausdruck überraschend gut an…“ und so weiter. Die andere sagte: „Fuck, das ist deine Bestimmung. Genau das und nichts anderes.“ Ich war zwar selbstkritisch mit meinem Material, aber gleichzeitig so wahnsinnig happy, endlich meine persönliche Berufung gefunden zu haben. Ein unglaublich befreiendes Gefühl, das bis heute anhält.

JJ: Wie sah Plan B aus, falls es den gab?

Joël: Den gab es, je nachdem wen man fragt, zum Glück oder leider nie. Für mich zum Glück, für meine Eltern leider. Sie waren schon unterstützend, trotzdem hört man es als Elternteil wohl nicht gerne, wenn der 16-Jährige Sohn mit den miserablen Schulnoten sagt: „Ich will Menschen auf der Bühne unterhalten.“

JJ: Joël, zu DDR Zeiten in den 80ern waren wir alle Fans deines Landsmannes Emil Steinberger, der recht oft bei uns im Fernsehen zu sehen war. War seine Glanzzeit vor deiner Zeit oder hat er dich irgendwie geprägt? Denkst du, Comedy ist heute was ganz anderes?

Joël: Herr Steinberger hat wohl jeden von uns geprägt. Mein Vater hat mir, als ich sechs Jahre alt war, eine ganze 90er-Style Kassette zusammengestellt mit Songs und lustigen Nummern, die mir gefallen haben. Unter anderem Helge Schneiders „Katzenklo“, weil das damals der absolute Shit war, und Emils Bauernregeln, weil sie einfach zeitlos sind. Ich kann heute noch fast alles auswendig.

Aber natürlich hat sich Comedy gewandelt in den letzten Jahrzehnten. Meine „Sparte“ Stand-Up ist in unseren Breitengraden immer noch relativ neu. In Deutschland dank Thomas Herrmanns und dem Quatsch Comedy Club immerhin seit den 90ern, bei uns in der Schweiz ist es ein junges Phänomen der letzten Jahre, los getreten vom Kollegen Claudio Zuccolini, das sich immer noch stetig weiter entwickelt. Ich würde deshalb nicht sagen, Comedy ist heute was ganz anderes. Comedy ist heute… vielseitiger. Und das ist auch gut so. Man kann mehr Nischen bedienen und dank moderner Mittel auch mehr sein Publikum finden und umgekehrt.

JJ: Gibt es Comedians oder Kabarettisten, vielleicht auch Schauspieler (gerne männlich und weiblich), die du gerne bei der Arbeit siehst? Und: Haut es dich vor Lachen manchmal von der Couch?

Joël: Da gibt es so viele, dass ich Angst habe, tolle Kollegen unerwähnt zu lassen. Aber ja, ich sehe unglaublich gerne Komikerinnen und Komikern bei der Arbeit zu, auch wenn ich ihre Nummern schon kenne und zum xten Mal sehe. Zu einem großen Teil bin ich wahrscheinlich Komiker, weil ich in erster Linie selbst ein riesiger Fan von Comedy bin. Und natürlich haut es mich vor Lachen manchmal von der Couch. Je absurder, desto witziger finde ich es.

JJ: Wenn wir einmal dabei sind: Wenn du Kollegen bei der Arbeit zuschaust, dann als ganz normaler Zuschauer wie Ulf Meier und Gerd Schulze oder schaust du als Kollege, der sich etwas abschaut, innerlich kritisiert, bewundert…?

Joël: Eine Mischung aus beidem, aber wahrscheinlich mehr der analysierende Kollege als der normale Zuschauer. Ich lache deshalb zum Teil bei ganz anderen Stellen als Zuschauer, weil mich in dem Moment irgend ein Detail überrascht und erfreut.

JJ: Die Texte für deine Comedyprogramme schreibst du selbst, Joël? Wie viel Improvisation ist dann auf der Bühne dabei?

Joël: Ja, ich muss meine Programme selbst schreiben, auch wenn ich mich oft dafür selbst verfluche. Aber sonst ist für mich der kreative Prozess nicht vollendet. Das muss ein sich immer wieder schließender Kreis sein. Von der Idee über den ersten Versuchen auf der Bühne bis ich eine Nummer nicht mehr spielen mag.

Joël von Mutzenbecher; Foto Marc Gilgen

Foto von Marc Gilgen

Improvisation ist da schon ziemlich viel dabei, aber dafür muss die Basis vorhanden sein. Sprich, wenn ich abendfüllend mein Solo spiele, ist im Schnitt etwa ein Viertel improvisiert, aber nur wenn das vorhandene Material funktioniert und ich mich wohl fühle, kann ich abschweifen, erweitern und auf soeben Geschehenes reagieren. So entwickeln sich zum Teil ganze Nummern.

Ich habe zum Beispiel kürzlich meine ursprüngliche Notiz einer Nummer angeschaut, die am Schluss fünf bis sieben Minuten lang war. Die Notiz bestand aus genau 14 Stichwörtern.

JJ: Was ist ein Halbidiot; einer, bei dem Hopfen und Malz noch nicht ganz verloren ist?

Joël: Genau! Der Komiker ist im Grundsatz ein wenig ein Aussenseiter und gibt das auch gerne zu – sonst wär’s ja nicht lustig. Selbst die grössten Comedy-Stars erzählen immer noch von ihren Unsicherheiten, Ängsten und peinlichen Erlebnissen. Auch wenn sie im Privatjet zum Auftritt geflogen sind.

Deshalb finde ich Halbidiot so passend. Es ist für mich und meine Comedy eigentlich die Basis von allem und deshalb der perfekte Titel für mein neues Programm. Auf den ersten Blick sieht alles wunderbar aus, auf den zweiten nur noch zur Hälfte.

JJ: Worauf können sich deine Fans in diesem Jahr noch freuen?

Joël: Bis mindestens Mitte August gibt es weiterhin jeden Freitag eine neue Folge „vo Mutzebächer“. Ich hoffe sehr für mich, unsere wachsende Fanbase und alle Beteiligten, die übrigens einen wirklich großartigen Job machen, dass wir bald grünes Licht für eine weitere Staffel kriegen. Im Herbst geht’s dann mit dem dritten Schweizer Solo los, was bis dahin sicher meine Hauptbeschäftigung ist.

Außerdem führe ich mit meinen Freunden Claudio Rudin und Daniel Bühler von der 3eck Agentur unseren kleinen Comedy-Club in Basel namens „Comedy im Balz“ weiter. Da werden übrigens auch ein paar tolle deutsche Kollegen auftreten, was mich riesig freut. Und à propos Deutschland: Da ich bei der „Quatsch Talentschmiede“ einen Sonderpreis gewonnen habe, was ich immer noch nicht ganz glauben kann, darf ich in der Quatsch Comedy Club Show eine Woche lang auftreten. Wann genau, sind wir gerade noch am schauen, es wird aber wohl noch dieses Jahr sein. Ein wahr gewordener Traum.

JJ: Joël, Stand jetzt, willst du in 20 Jahren beruflich noch das machen, was du jetzt machst?

Joël: Ja. Egal ob als Veranstalter oder Künstler auf der Bühne: Comedy ist mein Leben und ich kann mir momentan nicht vorstellen, dass sich das groß ändern wird.

JJ: Danke.

Joël: Ich danke dir!

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Weitere Informationen: Webseite von Joël und facebook Seite von Joël

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Foto Startseite: Marc Gilgen

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