Vielseitig, mutig, perfektionistisch

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Tabea Alt; Foto von Thomas Schreyer

Tabea Alt;
Foto von Thomas Schreyer

Im Gegensatz zu mir hatte Tabea Alt in der Turnhalle nie Angst. Ich stellte mich zu meiner Schulzeit vor 50 Jahren, wenn der Sportlehrer wegschaute, lieber wieder hinten an, statt übers Pferd oder den Kasten zu springen. Tabea indes hatte schon als drei- oder vierjährige diesbezüglich „allgemein wenig Hemmungen“.

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Anfänge

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Die mittlerweile erfolgreiche Kunstturnerin war beizeiten, wenn es um Bewegung, egal welcher Art, ging, vorne dabei. „Irgendwie habe ich mir immer viel zugetraut, war mutig“, blickt sie zurück, „und wenn mir jemand sagte, ich sei zu jung oder noch zu klein, dann erst recht!“

So nahm es nicht wunder, dass Tabea nach der Mutter-Kind-Turngruppen-Zeit sofort im Verein weitermachen wollte. Dafür war sie allerdings wirklich zu jung. Also mischte sie erstmal beim großen Bruder in der Jungsgruppe mit. Ab fünf dann zwei bis drei Mal pro Woche in der Mädchengruppe. Action non stop. No time for rest.

Als die Ludwigsburgerin acht Jahre jung war, geschah endlich, was geschehen musste: Die Talentsichtung. Die Trainerin Marie-Luise Probst-Hindermann erkannte besagtes Talent und holte sie zum Kunstturn-Forum Stuttgart.

„(Mannschafts) Ballsportarten waren eher weniger mein Ding“, erinnert sich Tabea an ihre frühzeitige Entscheidung fürs Kunstturnen, „mir ging es darum, meinen Körper bis aufs Kleinste steuern zu können. Individuell. Perfekt.“ Nicht mal beim doch sehr anspruchsvollen und komplexen Ballettunterricht sah sich das Mädchen zuhause: „Ich hatte einfach zu viel Energie, zu viel Power.“

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Faszination

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Tabea auf dem Schwebebalken, Foto von Dr. Qingwei Chen

Tabea auf dem Schwebebalken,
Foto von Dr. Qingwei Chen

Die inzwischen 19jährige begeistert an ihrer Sportart die Vielfalt. „Kraft, Akrobatik und Dynamik mit Eleganz, Ausstrahlung bis hin zur Show verbinden – und das in der Bewegung“, schwärmt sie und als sei das nicht schon genug: „Und da dann die Feinheiten rauskitzeln! Noch perfekter werden. Anderes probieren, den Schwierigkeitsgrad erhöhen, dem Körper Neues zumuten. Immer lernen!“

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Rio – Olympische Spiele 2016

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Ab dem zarten Alter von 16 Jahren dürfen Turnerinnen bei den Frauen, also auch bei Olympischen Spielen, an den Start gehen. Tabea Alt war im Jahr 2016 eben jene 16 Jahre jung und erkämpfte im Teamfinale mit der Mannschaft einen beachtlichen sechsten Platz. „Es war mein erster offizieller, wirklicher internationaler Auftritt“, bestätigt sie, „für mich ein Riesen-Event!“ Ihre Wettkämpfe fanden gleich in der ersten Woche statt, so dass sie bis zum Ende der Spiele noch zirka zwei Wochen Zeit hatte, mittendrin zu sein.

„Auch wenn mein Fokus klar auf der eigenen Sportart lag, konnte ich die Entscheidungen beispielsweise der Leichtathleten, der Handballer, Turm- oder Trampolinspringer (/innen) vor Ort verfolgen“, zeigt sie sich nach wie vor beeindruckt. Zudem genoss Tabea das lebhafte Zusammensein im Olympischen Dorf: „Während des Essens, gemeinsamer oder sich kreuzender Wege.“

Die Sehenswürdigkeiten der brasilianischen Stadt konnte die Schwäbin schon vorab, im April, kennenlernen. „Da, zu einem Testevent vor Ort, das für einige Sportler/innen auch Qualifikationswettkampf war, hielt der touristische Andrang sich in Grenzen und ich konnte Rio genießen“, erinnert sie sich an den Zuckerhut, die Christusstatue oder die Copacabana.

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Weltmeisterschafts-Bronze

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Zu den Weltmeisterschaften 2017 im kanadischen Montreal fuhr Tabea „ohne konkrete Erwartungen“. Sie war einfach nur „stolz und glücklich“, sich qualifiziert zu haben.

Tabea am Stufenbarren, Foto Dr. Qingwei Chen

Tabea am Stufenbarren, Foto Dr. Qingwei Chen

„Mein Fokus lag immer schon auf allen vier Geräten, auch wenn ich in den letzten drei Jahren das größte Potenzial für den Schwebebalken erkannt habe“, erklärt sie. Die 1,62 Meter große Frau fühlte sich „gut vorbereitet und sicher bei allen zu turnenden Elementen“. Der Umstand, dass mit ihr Kolleginnen im Team waren, die sie von den Olympischen Spielen kannte, beflügelte sie zusätzlich: „Die Stimmung in der deutschen Mannschaft war bestens.“

Womit die Mädels und wohl auch die Betreuer und Fans nicht wirklich gerechnet hatten, geschah dann. Tabea hatte sich als Vorkampfbeste für das Finale am Schwebebalken qualifiziert, in dem mit ihr noch Pauline Schäfer aus Chemnitz stand.

Das Final-Szenario beschreibt die Frau vom MTV Stuttgart so: „Vor einem Finale muss ich alles ausblenden. Alles wird auf Null gestellt. Was vorher war, zählt nicht. Es zählt nur diese Übung. Ich war als letzte von acht Teilnehmerinnen dran und wusste, dass ich, um aufs Podium zu kommen, ohne großen Wackler und schon gar nicht mit Absturz liefern muss. Dementsprechend war ich angespannt. Kleine Wackler versuchte ich elegant zu lösen.“

Das Resultat: Gold für Pauline, Bronze für Tabea. „Klar wäre mehr möglich gewesen“, schätzt sie ein, „aber genau das ist Kunstturnen. Das ist die Faszination. Die Details müssen stimmen. Nahe an der Perfektion. Dennoch war und bin ich über diesen Erfolg einfach nur überglücklich.“

Für die Übung am Stufenbarren war die Stuttgarterin mit zwei neuen Elementen angereist (Alt1 und Alt2). „Es war die Idee der Trainer (Marie-Luise Probst-Hindermann und Robert Mai)“, berichtet sie, „wir haben sehr viel geübt, nach dem eigentlichen Training eine halbe Stunde angehängt, Videos analysiert und so richtig klar war erst drei oder vier Wochen vor dem Start, dass es klappt.“

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Tabea bleibt Tabea

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Wenngleich die damals noch Gymnasiastin (2019 abgeschlossen) nach dem WM-Triumph besonders im Ländle und an ihrer Schule gefeiert wurde, ging sie den Weg in den Klassenraum „ganz normal“. „Am Wirtemberg-Gymnasium Stuttgart hatten wir Turnerinnen eh oft Freistellungen für Training und Wettkämpfe auf Grund von Sonderreglungen – und von daher eine gewisse Sonderstellung“, ordnet sie die Ereignisse ein, „ich habe mich sehr über jede Gratulation gefreut und als mir die Mitschüler- und schülerinnen erzählten, wie sie an den Fernsehern mitgefiebert hatten, ging mir das Herz auf!“

Und gleichwohl: „Ich habe mich nicht verändert, bin nach wie vor die selbe Tabea – natürlich und authentisch. Erfolge muss ich nicht nach außen tragen.“

Gala-Auftritte im Abendkleid mit Lauf über den roten Teppich wie am 15. Dezember 2019 im Kurhaus von Baden-Baden zur Auszeichnung der Sportler des Jahres sieht die junge Frau einerseits als Highlight, Belohnung und Zeugnis für Erfolge sowie genauso als Treff einer großen Familie. „Wir Athleten, egal aus welcher Sportart, haben irgendwie ähnliche Charakter“, befindet sie, „wir knüpfen bei solchen Gelegenheiten Kontakt, lernen uns kennen.“

Tabea, Foto von Dr. Qingwei Chen

Tabea, Foto von Dr. Qingwei Chen

Derzeit absolviert Tabea Alt auf Grund von Schulter- und Rückenproblemen ein intensives Aufbau- und Rehaprogramm. Die Olympischen Spiele in Tokio stehen vor der Tür. Dass sie den Ehrgeiz hat, rechtzeitig fit zu werden, steht bei dem Energiebündel mit der jetzt-erst-recht-Mentalität außer Frage. Dass sie nichts überstürzt und zuerst an ihre Gesundheit denkt, musste sie mir versprechen 😉

JJ.

Weitere Informationen: Tabea Alt auf facebook
oder Tabea Alt auf der HP des MTV Stuttgart

Foto Startseite: Dr. Qingwei Chen

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