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Fine Sendel,
Foto Reiner Nicklas
Die 18 Jahre junge Fine Sendel studiert in ihrer Heimatstadt Berlin an der Universität der Künste Schauspiel. Als ich sie anschrieb und um dieses kleine Interview bat, wunderte sich die junge Frau zunächst, weil sie „einfach nur eine einfache Schauspielstudentin“ sei.
Spätestens als ich ihre Antworten auf meine Fragen las, wusste ich, dass es eine gute Idee war, eine einfache Schauspielstudentin vorzustellen. Auch, weil die 1,63 Meter große Hauptstädterin sich manchmal wünscht: „ich würde gerne in den Achtzigern leben“ und auch, weil ihr Lebensmotto ist: „lebe gefährlich oder lebe gar nicht“ und vielleicht auch, weil sie ständig mit der kanadischen Schauspielerin und Filmproduzentin Ellen Page und der britischen Schauspielerin Helena Bonham Carter verglichen wird.
Vor allem aber, weil sie, wen sie Rollen verkörpert, letztlich sie selbst bleibt:
„Ich bin immer Fine“
JJ: Fine, du studierst an der Universität der Künste in Berlin Schauspiel. Ich weiß, das ist ein altehrwürdiges Haus und gleichwohl ein modernes und sehr vielfältiges. Du weißt es noch besser, erzähle mal bitte, wie empfindest du diese Uni und das Leben als Schauspielstudentin?
Fine Sendel: Wenn mich die Universität der Künste etwas gelehrt hat, neben der Kunst des Schauspiels, dann ist es die Größe des Kosmos der Künste, ja, wie viel Kunst es doch gibt, und wie verschieden sie ist. Wie weit sie vom Begriff Kunst abweichen kann und wie nah sie wieder dran ist. Aber es ist doch alles Kunst! Sogar das Studieren an sich ist eine Kunst.
Es ist sehr vereinnahmend, mein Leben dreht sich momentan immer zu 90 Prozent um das Thema Schauspiel, ich habe an manchen Tagen von neun Uhr morgens bis zehn Uhr abends Unterricht; also den Strickkurs, der immer Mittwochnachmittag in der Volkshochschule nebenan stattfindet, könnte ich nicht besuchen. Aber ironischerweise möchte ich das auch gar nicht, ich bin unheimlich glücklich mit meinem Studium, und grade da es so vielseitig ist, stört es mich nicht, dass ich quasi „nur“ das mache.

Fine Sendel,
Foto Reiner Nicklas
Ich habe das Gefühl, dass ich nicht Schauspiel, sondern „Leben“ studiere. Ich lerne wie man steht, wie man läuft, wie man spricht, wie man singt, und wie man Fine ist, ja, ich lerne wer ich bin. Und ich lerne so gern!
JJ: Was ist Schauspielerin als Beruf für dich; PlanA, der einzige Plan…? Wann wusstest du (als Kind), dass Schauspielerin ein Beruf ist, wann wusstest du, dass es dein Beruf ist? Wie entstand dein Gedanke beziehungsweise der endgültige Entschluss „ich mache das jetzt, ich werde jetzt Schauspielerin!“?
Fine: Schauspielerin ist für mich so ziemlich der einzige Plan. Ich glaube, wenn das anders wäre, würde da irgendwas nicht stimmen, denn damit ich von dieser Kunst später leben kann, muss ich wirklich dafür brennen, und das tat ich schon immer!
Schon als Kleinkind habe ich immer meinen Auftritt gebraucht, meine Eltern sollten ständig Fotos von mir machen, und ich trat mit drei Jahren gerne im örtlichen Altersheim auf, wo ich mich einfach nur zu Mozarts kleiner Nachtmusik im Kreis drehte. Ich war eine richtige Diva!
Mit neun Jahren stand ich im Rahmen der Theater-AG meiner Grundschule zum ersten Mal auf einer semi-großen Bühne, und so kitschig das auch klingen mag, da wusste ich es. Schauspielerin. Aber es war und blieb ein Traum, denn Schauspielerin, das wird man doch nicht einfach so. Dachte ich!
Je älter ich wurde, desto mehr Alternativen suchte ich mir, von der Journalistin bis hin zur Meeresbiologin. Es ist noch nicht mal zwei Jahre her, dass ich von den staatlichen Schauspielschulen erfuhr, und dann wurde mein Traum auf einmal wieder so greifbar, und ich packte die Sache beim Schopf. Ich wusste also dass es mein Beruf ist, bevor ich wusste, dass es ein Beruf ist.
„Ich bin eine Simulantin“
JJ: Du hast schon auf der Bühne und auch vor der Kamera agiert, Fine, was geht genau in jenen Momenten in dir vor, wenn du in die Rolle musst? Wer bist du, was fühlst, was denkst, was spürst du (oder auch nicht)? Wann beginnt der Prozess, wann bist du raus aus der Rolle?
Fine: Ich bin eine Simulantin. Wenn ich spiele, dann fühle ich mich nicht in Rollen hinein oder habe das Gefühl, komplett aus mir selbst herauszugehen, damit ich ganz und auch nur die Rolle bin. Ich bin immer Fine. Fine, die nur simuliert, grade zu fühlen was die Rolle fühlt, oder zu denken was die Rolle denkt.

Fine Sendel,
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Ich brauche auch keine Zeit um reinzukommen, ich spiele immer aus dem Kalten. Eine Zeit lang hat sich das sehr falsch angefühlt, als wäre ich eine Lügnerin, die dem Publikum falsche Gefühle vorspielt und die Sache nicht ernst nimmt. Aber mittlerweile habe ich akzeptiert, dass das einfach nur meine ganz eigene Technik ist, die bei mir momentan am besten funktioniert. Für manche heißt es „Schauspiel“, für andere eben „Schausein“. Ich bin eine Spielerin.
JJ: Erzähle bitte mal munter drauf los, wie es für dich war an der Schaubühne Berlin die Mauricette in „Champignol Wider Willen“ zu spielen.
Fine: Es war, als hätte jemand alle vierblättrigen Kleeblätter dieser Welt gepflückt, und sie auf uns, den damals noch ersten, kleinen, süßen Schauspiel-Jahrgang der Universität der Künste Berlin hat runterregnen lassen. Ganz, ganz viel Glück.
Die Schaubühne brauchte für die anstehende neue Produktion von Herbert Fritsch einen Chor aus mehreren Schauspielstudenten, und fragte, soweit ich es weiß, erst bei einer anderen Schule an, doch dann bei uns, da jene absagte. In dem Probenzeitraum hatten von allen vier Jahrgängen nur wir Zeit, wir, die noch mitten im ersten Semester steckten, sollten nun auf einmal auf einer der größten Bühnen Deutschlands unter einem so großen Regisseur wie Herbert Fritsch spielen.
Er und die Dramaturgin des Stückes saßen plötzlich in unserem Unterricht drin, und ein paar Monate später hockten wir auf der Probebühne neben dem großartigen Fritsch-Ensemble. Auch dass ich plötzlich für die Rolle der Mauricette umbesetzt wurde, war sehr viel Glück, die eigentliche Schauspielerin ist ausgefallen, und dann fragte mich Fritsch eines Nachmittags, ob ich nicht Lust habe, sie zu ersetzen. Ich weiß noch, wie ich danach vor Freude schreiend und weinend zur S-Bahn rannte, um dort gleich den Text zu lernen.
Die Premiere war ganz plötzlich da. Und ganz plötzlich auch wieder weg. Mittendrin der Applaus, die einzige Stelle des Stückes, wo ich mich nicht in völlig verrenkten und seltsam-akrobatischen Körperhaltungen befinde. Und dann wurde es irgendwie Normalität; Uni, Uni, Uni, dann drei bis fünf Mal Champignol, und dann wieder Uni, Uni, Uni.
Was ebenfalls normal wurde, war der unheimliche Lerneffekt, den dieses Projekt mit sich brachte. Ich lerne immer noch, seit der ersten Probe bis heute. Für mich ist diese praxisnahe Erfahrung nur noch eine Bestätigung mehr, dass ich genau das machen muss. Spielen. Im Theater. Vor allem in diesem Theater. Also, Herr Ostermeier, wenn Sie das hier lesen sollten…
„Ich will mehr“
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JJ: Ich hatte nie schauspielerische Ambitionen, aber wenn, dann hätte ich gerne den Wilhelm Tell oder den Robin Hood gegeben, die klassischen Helden also. Wie ist das bei dir – Hauptsache spielen – oder sind dir schon das eine oder andere Medium, das eine oder andere Genre, das eine oder andere Rollenfach oder gar eine bestimmte Rolle am liebsten? Gerne auch aus dem Reich der Träume und irgendwann mal…

Fine Sendel,
Foto Reiner Nicklas
Fine: Ich spiele gern das, was ich gut kann und was ich irgendwie auch bin, und für genau das werde ich auch meist besetzt. Klein, süß, frech, komisch, jung, lustig, überzogen, meist die Nebenrolle. Das sehen sie alle in mir und das ist auch okay.
In dieser Szene kommst du an einer – wenn auch nur indirekten – Typisierung nicht vorbei. Ich kann das, und ich kann das ganz gut, und ich kann das auch ganz gerne machen, doch bin ich nun tatsächlich an einem Punkt angekommen, an dem ich behaupten kann, dass mich das irgendwo auch wieder langweilt.
Ich will mehr, ich will jetzt die kühle, starke, erwachsene, trauernde Frau geben, und nicht schon wieder das junge, naive Mädchen. Ich will auch mal die Elektra sein, nicht immer nur das Gretchen.
JJ: Mitgezählt habe ich nicht, Fine, aber ich erzähle jetzt wohl zum tausendsten Mal ungefragt, dass Anfang der 80er Jahre während meiner Armeezeit in einem Erfurter Kino „Einer flog über das Kuckucksnest“ ein unvergessliches Erlebnis für mich war. Ich erinnere mich, als wäre es gerade eben geschehen. Auch „Dangerous Minds – Wilde Gedanken“ beispielsweise hat mich im Fernsehsessel gefesselt. Gab es solche Erlebnisse für dich, Filme oder auch Theaterstücke, die dich umgehauen haben und an die du dich auch nach deiner dritten Goldenen Kamera noch erinnern wirst?
Fine: Filme fesseln mich leider selten, ich finde es ja selbst ganz schrecklich, dass meine Anforderungen da in unermessliche Höhen steigen. Aber wenn, dann sind es welche aus dem Horrorgenre. Das ist mein liebstes!
Sonst werden mir auf jeden Fall viele gute Klassiker ewig in Erinnerung bleiben, wie „Dirty Dancing“, „Titanic“ oder „Die Reifeprüfung“. Einen absoluten Lieblingsfilm habe ich leider nicht, noch nicht!
Anders ist es bei Theaterinszenierungen, bis jetzt wurde „der die mann“ an der Schaubühne (Regie Herbert Fritsch) durch nichts überboten! Als ich zum ersten Mal da war, wusste ich danach nicht, wo mir der Kopf steht. Es ist einfach ein Meisterwerk, das seines gleichen sucht! Den Atem verschlagen haben es mir auch „Die Ehe der Maria Braun“ am selben Haus und „Die Frau, die gegen Türen rannte“ am Berliner Ensemble.
JJ: Was müssen solche Filme oder Theateraufführungen für dich haben?

Fine Sendel,
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Fine: Da gibt es genau zwei Dinge, die für mich einen guten Film beziehungsweise ein gutes Theaterstück ausmachen: dass ich nicht möchte, dass es zu Ende ist, und dass ich vergesse, wie lange ich dort schon sitze und einfach nur starre.
JJ: Gibt es Schauspielerinnen oder Schauspieler, egal ob hierzulande oder wo auch immer, egal ob aktuell oder in der Vergangenheit, die dich immer wieder faszinieren?
Fine: Meryl Streep! Sie ist eine der wenigen, die diese Typisierung, von der vorhin schon die Rede war, umgehen konnte. Sie spielt alles und jeden. Und es ist immer brillant.
„…wenn Schauspieler sich an den Rand des Wahnsinns spielen“
JJ: Und wenn wir einmal dabei sind, jetzt mal eben die Frage, die ich meistens zuerst stelle: Worin besteht deine ganz persönliche Faszination Schauspiel – wenn du zuschaust, wenn du selbst spielst?
Fine: Wenn ich spiele… hach ja. Ich spiele so gerne! Ich würde es schon als Spieltrieb bezeichnen, es ist was Essenzielles bei mir. Und vor allem die Bühne trägt viel dazu bei, das Publikum, der Live-Faktor. Das Gefühl kurz bevor man auftritt, das Gefühl beim Applaus.
Ja, irgendwie lebe ich dafür, und wahrscheinlich auch deswegen. Das ist etwas, was mir der Film nie geben wird oder kann, obwohl ich definitiv beides machen möchte. Aber das gute alte Theater, ja, das wird immer an erster Stelle stehen.
Auch sehe ich gerne dabei zu, wenn Schauspieler sich an den Rand des Wahnsinns spielen, neue Dinge probieren, und man im Bruchteil einer Sekunde erkennen kann, wie sie sich selbst überrascht haben. Das ist so lebendig.
Wenn man eine Theaterkarte kauft, kauft man nicht nur die Theaterkarte, man kauft auch die Tagesform der Schauspieler, ihre aktuelle Experimentierfreudigkeit, oder das Wohlergehen ihrer Ehe. Jede Vorstellung ist anders, deshalb sehe ich mir manche Stücke auch gerne mehrmals an.
JJ: Wie wichtig sind Tanz und Bewegung für dich, Fine, sind sie vielleicht gar eine wichtige Voraussetzung oder wenigstens eine Hilfe für das Schauspiel?
Fine: Der Tanz ist ein Teil von mir, ich habe 14 Jahre Ballettunterricht an der Ballettschule Balancé in meiner Heimatstadt Erkner genommen, wegen des Studiums musste ich leider damit aufhören. Ich war nie besonders gut, kann aber doch eine gewisse Dehnbarkeit oder einige semi-elegante Figuren ganz gut in mein Spiel mit einbringen.
Mir fehlt das Ballett. Sehr. Es war eine der wenigen Konstanten in meinem Leben, die nicht die Form eines Menschen hatten. Das Ballett war immer da, und es wird auch immer in mir sein.

Fine Sendel,
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Allgemein ist mir Bewegung auf der Bühne am wichtigsten! Noch wichtiger als Psychorealismus oder die W-Fragen. Ich bin Körper, nicht Kopf. Ich liebe es, mich seltsam zu bewegen, ich liebe die Asymmetrie, das macht alles so viel spannender!
Das habe ich hier an der Universität der Künste gelernt, davor hätte ich als Ausdruck der Trauer meine Hände an den Kopf geschlagen und mich weinend auf den Boden geschmissen, heute würde ich stattdessen seitwärts gen Wand schleichen, während mein Kopf nach links geneigt ist und ich monoton den Buchstaben „A“ von mir gebe. Ist das nicht viel schöner anzuschauen?
JJ: Gibt es in absehbarer Zeit spruchreife Projekte, egal ob vor der Kamera oder auf der Bühne, bei denen du mittendrin bist?
Fine: Ich hätte einige Projekte in Angriff nehmen können, aber das ist mit einem Studium nicht leicht vereinbar, und dieses hat immer Vorrang. Von daher werde ich mich nun voll und ganz auf mein nächstes Szenenstudium konzentrieren können, ich werde die Helene aus „Vor Sonnenaufgang“ von Hauptmann geben. Endlich mal ein bisschen ernst sein, endlich mal ein bisschen weinen.
JJ: Danke.
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Weitere Informationen: Fine auf Castforward
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