Und… bitte!

 

Dietmar Nieder; Foto von © Sebastian Rosenberg

Dietmar Nieder;
Foto von © Sebastian Rosenberg

„Das Wirtshaus im Spessart“, „Freund Till, genannt Eulenspiegel“, „West Side Story“, „My Fair Lady“ oder „Maria Stuart“, das sind allesamt Bühnenstücke, die uns irgendwie ein Begriff sind; zumindest mir, dem Durchschnitts-Theaterkenner. In all diesen und vielen anderen Aufführungen wirkte Dietmar Nieder mit – in Heidelberg, Osnabrück, Wuppertal… und aktuell in „Amok“, der Theaterbearbeitung eines Romans in Oberhausen – in dem der Schauspieler gemeinsam mit Clemens Dönicke ein Verwirrspiel über Realität, Lüge und Illusion auf die Bretter bringt. Am „Landestheater Schwaben“ in Memmingen inszenierte er zudem mehrere Stücke (u.a. „Endstation Sehnsucht“).

Das mag für den Außenstehenden ein wenig klingen wie Traum erfüllt. Nicht für Dietmar. Der Mann in den besten Jahren jagt zwar nicht wirklich dem einen, dem klassischen Traum hinterher, möchte indes ganz gerne demnächst wieder häufiger vor die Kamera.

Der Berliner hat über die Jahre immer wieder in Filmen oder Serien mitgespielt: „Aus heiterem Himmel“, „Küstenwache“, „Dr. Sommerfeld – Neues vom Bülowbogen“, „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“, „Hinter Gittern – Der Frauenknast“… Um nur mal einige zu nennen.

„Ich hatte an Theatern gut zu tun, wenig frei“, beschreibt er, warum ab einem gewissen Zeitpunkt die Film- und Fernseheinsätze weniger wurden. Als der 1,88 Meter Mann 2017/2018 dann indes gemeinsam mit Anjorka Strechel (außerdem Produzentin, Regisseurin), Jerry Kwarteng und Peter Foyse im Kurzfilm „4 Wände“ wieder Kamera-Set-Luft schnupperte, umgeben von weiteren Vollprofis wie dem renommierten Director of Photography Wedigo von Schultzendorff, gab es kein zurück mehr. „Das hat mich wieder angekickt“, spricht Dietmar gelassen aus, was ihn aktuell umtreibt.

Dietmar Nieder, Foto © Sebastian Rosenberg

Dietmar Nieder,
Foto © Sebastian Rosenberg

„So ist es schon eine Art Traum“, denkt er laut nach, „wenn ich am liebsten ein bis zwei Mal pro Jahr Theater spielen, ein bis zwei Mal Theater inszenieren und zirka drei Filme drehen könnte“. Einfach nur weil dieses Switchen zwischen den Welten, zwischen den verschiedenen Aufgabenfeldern, „spannend ist“ für den Mann, der „immer Schauspieler sein“ wollte. Und ist.

Die Umstellung von den ausladenden Gesten, der deutlich betonten Mimik und der lauten Sprache auf der Bühne, hin zu dem reduzierten Auftreten vor der Kamera, wo es eher auf Wimpernschläge ankommt, fällt Dietmar Nieder dabei überhaupt nicht schwer. „Am Theater geht es mir sowieso hauptsächlich ums Geschichten erzählen, um die nötige Konzentration, das betont Große ist meiner Meinung nach gar nicht sooo nötig“, plaudert er aus dem Nähkästchen seiner Herangehensweise, „ich mag es reduziert, weniger ist oft – auch auf der Bühne – mehr, und die Zuschauer registrieren kleine Mimik und selbst Schweigen sehr wohl.“

Der erfahrene Schauspieler hat dabei die Erfahrung gemacht: „Je klarer ich denke, um so besser ist zu erkennen, was ich ausdrücken möchte, auch mit kleiner Gestik.“ Und er fügt an: „Letztlich sind wir alle durchsichtig.“

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„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich von Schiller)

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Was Dietmar Nieder gerne vor der Kamera verkörpern möchte, macht er nicht an konkreten Rollen fix. Auch hier geht es ihm und die Geschichte. Oder die Beteiligten… „Mit welchem Regisseur, mit welchen Kollegen arbeite ich zusammen, in welche Richtung geht es…?“, diese Fragen interessieren ihn, „als Teamplayer gebe ich gerne den Intreiganten, den fiesen, undurchschaubaren Gegenspieler…“

Aus dem Theaterbereich nennt der charismatische Berliner den Fähnrich Iago aus „Othello“ von William Shakespeare als Beispiel. Oder aus dem Fernsehserien-Genre einen Priester, der ein Gauner ist – den er selbst in der „Küstenwache“ mal spielte.

Dietmar scheint es zu mögen, wenn es in seinem Job gilt, zwielichtige, auf den ersten, vielleicht auch zweiten und dritten Blick, unsympathische Zeitgenossen darzustellen. Wenn Geschichten auch mal abseits vom Gute-Laune-und-Happyend-Trallalla erzählt werden. Wenn es intensiv wird.

Dietmar Nieder; Foto © Sebastian Rosenberg

Dietmar Nieder;
Foto © Sebastian Rosenberg

„Eine Rolle als Kriegsversehrter, der nur noch einen Arm hat, habe ich mal so gründlich gespielt, dass mich Kollegen nach Ende der Vorstellung darauf hinwiesen, dass mein anderer Arm, also der, den die Figur nicht mehr hatte, total kalt ist“, erzählt Dietmar ein Beispiel, „den Arm hatte ich wirklich weggespielt.“

„Es ist ein Phänomen“, sinniert er weiter, „wie das Spiel in die Realität hinein wirkt. Immer geht es mir nachher anders als vorher.“ Und nicht nur ihm als Darstellendem.

Wie dieses Mysterium auch die Zuschauer ergreifen kann, erlebte er als Kinobesucher bei „Schindlers Liste“: „Alle im Saal waren traurig. Es war still, es gab eine gemeinsame Betroffenheit, die Leute waren traurig, nachdenklich, andächtig. Gemeinsam.“

Und schon sind wir bei Dietmar Nieders ganz persönlicher Faszination Schauspiel. „Die Beobachter tauchen ab in die Welt, die ihnen gezeigt wird – oder wollen am liebsten mitspielen. Die Schauspieler können dafür sorgen, dass es gut wird. Toll!“

Apropos Teamplayer und apropos Kollegen. „Sie machen, dass jeder Tag anders ist, jede Aufführung, jede Probe, jeder Dreh“, freut er sich anerkennend, „unsere Arbeit lebt von den vielen Kleinigkeiten, die sich durch uns ändern, es ist ganz toll, wenn miteinander was passiert. Schlimm, wenn es nicht so wäre.“ Wohl deshalb schätzt der leidenschaftliche Profi die Freiräume, die Regisseure – mal mehr, mal weniger – bieten.

Auf Schauspieler/innen angesprochen, die Dietmar immer wieder faszinieren, antwortet er zunächst im Gleichklang mit anderen Befragten, dass es „viele gibt“, dass er „lange überlegen und doch die Hälfte weglassen“ müsste…, und auf die Schnelle nennt er „John Malkovich oder Sean Penn („sie berühren mich immer wieder“), verweist auf die „lange Liste“ und erwähnt dann Fritzi Haberlandt („auch ihr Spiel berührt“); erzählt vom Herz, dass wohl hinter dem Lächeln von Julia Roberts stecken wird und erinnert sich an einen Dreh zum dramatischen Kriegsfilm „Duell – Enemy at the Gates“ aus dem Jahr 2001 mit Regisseur Jean-Jacques Annaud, in dem er und Bernd Lambrecht Nebenrollen gaben und vom international renommierten „Der Name der Rose“-Regisseur große Beachtung erfuhren („er ließ auf eine Idee von uns hin stundenlang umbauen“). Bei dieser Gelegenheit lernte Dietmar zudem Jude Law und dessen „stählernen Blick Blick aus strahlenden Augen“ kennen.

Dietmar Nieder, Foto von © Sebastian Rosenberg

Dietmar Nieder,
Foto von © Sebastian Rosenberg

Begonnen hat der mittlerweile gestandene Schauspieler eher unverfänglich. „Als Kind habe ich natürlich rum geblödelt, Witze gemacht, auch Laientheater gespielt. In einer Beamtenfamilie aufgewachsen, war ich weit weg davon, in Richtung meines jetzigen Berufes zu wollen“, erinnert er sich. Dann, als Dietmar etwas später in einem Amateurstück mitwirkte, „kam der Profi, ein Dramaturg, von außen, redete von Begabung und es gab kein zurück mehr“. Auch, wenn er sich die Frage stellte, ob Begabung und Talent reichen, nun ging er zielstrebig den Weg, nahm privaten Schauspielunterricht, sprach vor, wurde für gut befunden, eingestellt, ein Engagement folgte dem anderen…

Der Rest ist Geschichte. Die Geschichte des Mannes, der Geschichten erzählt. Mit seinem Körper und seiner Stimme als Mittel. Mal deutlich, mal reduziert. Gerne intensiv und gerne in den verschiedenen Genres auf und neben der Bühne und demnächst wieder öfter vor der Kamera.

JJ

Weitere Informationen: Dietmars Profil auf Schauspielervideos.de

Foto Startseite: © Sebastian Rosenberg

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