Too cool for school

 

Canan Canan Samadi; Foto Daniel Grünfeld

Canan Samadi; Foto Daniel Grünfeld

Canan Samadi wuchs in einem Hamburger Multikulti-Viertel auf und spricht Deutsch wie Türkisch als Muttersprache. „Meine Kindheit war ein Spielplatz, meine Jugend die Straße und mein Erwachsenwerden ein Chaos“, gibt sie einen kurzen Abriss ihres Lebens bislang, „ich wusste nie so richtig, wohin ich gehörte. Heute kann ich alles in meinem Beruf vereinen – Spielplatz, Straße und Chaos.”

In den letzten Wochen startete die Schauspielerin, was unter anderem die Fernsehpräsenz anbelangt, so richtig durch. Zwei Beispiele: Sie wirkte im Klassiker „Tatort“ mit und in der aufsehenerregenden Serie „Bad Banks“.

Genauer erzählt sie uns das hier und jetzt – und auch, wie es weiter geht:

.

.

„Ich dachte früher immer, dass man sich selber aufgibt und wirklich zu jemand anderem wird. Aber heute sehe ich das ganz anders“

 

.
JJ: Canan, gehen wir doch gleich mal im medias res, was ist deine ganz persönliche Faszination Schauspiel? Warum schaust du gerne zu, warum spielst du gerne, wie entwickelte sich der Berufswunsch?

Canan Samadi: Mich fasziniert vor allem, was gutes Schauspiel und ein guter Film mit dem Zuschauer machen. Mitfühlen, identifizieren, abtauchen, träumen, beeinflussen des Zuschauers, zum Nachdenken anregen, all das sind Zustände, die ein Film und ein Schauspieler auslösen können. Diesen Zustand, den liebe ich. Daran merke ich immer, wie viel Kraft dieser Beruf eigentlich hat.

Ich bin in einem sehr kinderfreundlichen und künstlerischen Multikulti-Viertel in Hamburg Altona groß geworden. Und da bin ich früh mit dem Schauspielen in Berührung gekommen. Sei es im Kindergarten oder auf Straßenfesten. Ich hatte immer Bezug zur Bühne.

Und wenn man dann als Kind in solchen Spielmomenten feststellt, dass es sich richtig anfühlt und man sich geborgen und wohl fühlt, dann verlassen einen diese Gedanken nicht mehr so leicht. Solche Momentaufnahmen gab es viele in meiner Kindheit.

Canan Canan Samadi; Foto Daniel Grünfeld

Canan Samadi;
Foto Daniel Grünfeld

Wenn man allerdings – wie ich – zwischen zwei Welten groß wird, dann verabschiedet man sich auch ganz schnell wieder von dem Gedanken, dass Theater oder Film zukunftsorientierte Berufe sein könnten. Deshalb blieb es lange bei diesen kleinen aber schönen Erinnerungen, die zu ungreifbaren Visionen wurden. Ich schweife jetzt ein wenig ab, aber es hat wirklich sehr lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich diesen Beruf wirklich ausüben möchte.

JJ: In Vorbereitung auf meine Fragen habe ich mir Filmszenen mit dir angeschaut. Auf mich wirkst du sehr natürlich, es ist nicht mal mehr Spiel, sondern Sein. Authentisch also, echt. Bist du so cool, tust du nur so, ist es Talent, Übung, Technik? Wie viel Arbeit steckt dahinter, wie viel Aufregung vielleicht?

Canan: Ich tue eigentlich nur so. Als Schauspieler belügt man sich auch gerne mal selber oder redet sich so stark in eine Sache rein, dass man das Fabrizierte am Ende selber glaubt (lach).

Die coole Canan gibt es natürlich auch. Too cool for school, aber in meinem tiefsten Inneren bin ich eigentlich ein Geek und Freak. Ich liebe Mathe und habe ein Faible für Hacker YouTube Tutorials.

Und zum Thema Talent hab ich ein ganz nettes Zitat (Botho Strauss), das es für mich am besten beschreibt: „Die Hälfte aller Begabung ist brennendes Interesse.“ Genauso sehe ich es auch an mir: Ich habe brennendes Interesse, welches mir erlaubt, einen Antrieb zu produzieren, dessen Ursprung sich in einer Vision wiederfindet.

JJ: Was fühlst, spürst, denkst du, wenn du am Set stehst, Auge in Auge mit der Kamera, das Mikrofon baumelt vor deiner Nase und der Regisseur sagt „Bitte“? Genau in den Momenten.

Canan: Es wäre ganz hilfreich an dieser Stelle, nicht sehr viel zu denken. Und wenn ich’s dann doch tue, sollten es möglichst Dinge sein, die meine Figur denken würde. Das hilft mir immer sehr.

JJ: Wann beginnt wie dein Schlüpfen in die Rolle, wie schnell findest du raus?

Canan: Eigentlich beginnt es für mich in dem Moment, in dem ich das Drehbuch das zweite Mal gelesen habe. Ab dem Zeitpunkt geht die Arbeit los. Anfangs noch unbewusst – und irgendwann beginnt die bewusste Vorbereitung, die mir wahnsinnig viel Spaß macht.

Canan Samadi; fotografiert von Daniel Grünfeld

Canan Samadi; fotografiert von Daniel Grünfeld

JJ: Wie tief bist du drin, wie viel Canan ist da noch?

Canan: Ich dachte früher immer, dass man sich selber aufgibt und wirklich zu jemand anderem wird. Aber heute sehe ich das ganz anders.

Eigentlich füllt meine Persönlichkeit die Rolle und macht sie erst lebendig. Es ist eine Art Verschmelzung der eigenen Persönlichkeit und der auf sachlicher, emotionaler und historischer Ebene recherchierten Figur.

JJ: Du mischt im „Tatort – Tollwut“ mit, Canan. Ich weiß, das ist für viele Kolleginnen und Kollegen von dir die Königsklasse, ein bisschen der Traum. Wie war es für dich, als du die Chance bekamst? Wie ist es jetzt?

Canan: Als ich das Angebot bekam, ein Casting für die Rolle zu machen, dachte ich erst: ‚Moment mal, die Figur hat ja einen deutschen Namen.‘ Und beim Lesen meiner Castingszene dachte ich: ‚Das ist ja eine Figur in Figur in Figur.‘

Es ist wirklich nur eine kleinere Nebenrolle, deshalb kann ich jetzt nicht großartig sagen, dass mir die Figur fehlt oder ich mich besonders von ihr erholen musste. Wenn das Drehbuch der Figur ein wenig mehr Spielraum gegeben hätte, wäre sie schon eine ziemliche Lieblingsfigur von mir gewesen.

JJ: Wie selbstbewusst bist du, wie selbstkritisch? Hast du zufriedene Momente oder willst du immer nur weiter, besser…?

Canan: Ein gesundes Selbstbewusstsein ist gar nicht so verkehrt in unserer Branche, denn es gibt keinen Beruf auf dieser Welt, bei dem man so viel Ablehnung erfährt. Es gab eine Zeit, da war ich sehr selbstbewusst (vor der Schauspielschule), dann kam die Phase während und nach der Schule, als ich so gebrochen und unsicher war, dass ich einfach nur in Selbstkritik badete.

Die Erfahrungen und Begegnungen nach der Schule haben mich wieder stabilisiert. Und ich glaube, dass es immer solche und solche Phasen im Leben eines jeden Künstlers geben wird. Da habe ich meine eigene Methode entwickelt, um nicht stehen zu bleiben.

JJ: Was bedeuten dir alle möglichen Formen von Bewegung, Canan; Tanz, Sport…? Erstmal ganz allgemein. Und wie wichtig ist Körperbeherrschung für Schauspiel?

Canan Samadi; Foto Daniel Grünfeld

Canan;
Foto Daniel Grünfeld

Canan: Tanzen gehört zu mir, seit ich denken kann. Ich bin förmlich mit Bauchtänzerinnen um mich herum groß geworden. Sei es auf Hochzeiten, bei Partys zu Hause oder auf türkischen Frauenfesten (Kadinlar Matinesi), immer und überall wurden kräftig wohlproportionierte Frauenkörper kreisend eingesetzt. Ich habe es geliebt, weil sehr viel Selbstbewusstsein und Körpergefühl dazu gehört, um so verführerisch und ästhetisch zu tanzen.

JJ: Lass uns träumen. Du bist jetzt mal eben Produzentin, Casterin, Drehbuchautorin, Regisseurin und Schauspielerin. In welchem Film sehe ich dich, in welcher Rolle, mit welchen Kollegen?

Canan: Wie kann man denn alles gleichzeitig sein? Ich finde den Beruf des Casters sehr einzigartig.
Ich vergleiche das immer mit dem Beruf der Modedesigner, die ganz genau wissen müssen, was in xy Jahren Trend ist. Sie müssendas richtige Gespür haben und dann auch noch die richtigen Stoffe finden.

Anfangs ist dieses Gespür vielleicht noch Haute Couture, da nicht jeder mitgeht, doch irgendwann wird es Preta-Porter. Jemanden zu entdecken, das Besondere in ihm zu sehen, ist schon eine krasse Gabe und ich glaube, man braucht Unmengen an Fantasie dafür, deshalb würde ich Caster auch CCD’s nennen (Creative Casting Directors).

Ich liebe die Bühne und ich liebe alles, was man auf der Bühne ausprobieren kann, doch mein Herz gehört dem Film. Dieses Jahr feiere ich Fernseh- und Kinodebüt. Ab März kann man mich in der neuen deutschen Serie „Bad Banks“ sehen (ZDF und Arte). Eine deutsch/luxemburgische Produktion, bei der es um die Welt der Hochfinanzen geht (das Leben von Investmentbankern).

Ende des Jahres müssten zwei Kinoproduktionen rauskommen. Beide sind noch im Schnitt. „Die Farbe des Chamäleons“ und „Story of Berlin“. Und ich bin derzeit in den Dreharbeiten zu „Dogs of Berlin“, der zweiten deutschen Netflix-Produktion.

Canan Samadi; Foto Daniel Grünfeld

Canan Samadi;
Foto Daniel Grünfeld

Wie würde ich mich besetzen, wenn ich Produzentin wäre? Was ist meine Traumrolle? Ich würde mich in einem Film besetzen, bei dem ich vom Antihelden zum Helden werde. Das muss noch nicht mal die Hauptrolle sein. Das bestes Beispiel: Sam Rockwell in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“.

Er spielt eine größere Nebenrolle und wird am Anfang für seine Rolle eigentlich nur gehasst, da er so asozial und daneben ist. Doch durch einen gravierenden Wendepunkt verbündet er sich mit der Heldin und wird selbst zum Helden. Ich liebe die Vielfalt und wünsche mir eigentlich nur solche Rollen.

JJ: Danke.

.
Weitere Informationen:  Agentur-Seite von Canan

.
Foto Startseite: Daniel Grünfeld

.

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*