Der einzige Beruf

 

Carolin Jakoby; Foto von Urban Ruths

Carolin Jakoby;
Foto von Urban Ruths

Wenn Carolin Jakoby ab und an, oder wie sie sagt „recht oft“, in ihrer Heimat vorbeischaut, geht es ihr nicht anders als wahrscheinlich uns allen. Die Besuche während der Kindheit mit den Eltern im Heidelberger Stadttheater, wo Märchen aufgeführt wurden, schleichen ebenso in die Erinnerung der inzwischen Schauspielerin wie der gemeinsame Gang über den Weihnachtsmarkt mit anschließendem Besuch einer bestimmten Pizzeria, in der es alljährlich den Panettone Kuchen als Aufmerksamkeit des Hauses obenauf gab.

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Die Anekdote

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Wenn sie hingegen an einer ehemaligen Schule vorbei fährt, wechselt die Gefühlslage ein bisschen. „Zwischen der siebenten und elften Klasse war ich, ich weiß gar nicht mehr wie das passieren konnte, an einem Gymnasium mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Das sorgt heute noch für ein komisches Gefühl im Bauch“, erinnert sich die mittlerweile Berlinerin.

Aber nur kurz erzählt sie mit Unbehagen, um dann – ebenfalls aus dieser Zeit berichtend und zur Höchstform auflaufend – eine Anekdote zum Besten zu geben: „Meine Mutter sagt, dass ihr schon immer klar war, dass ich Schauspielerin werde. Am Mittagstisch habe ich meine Lehrer so anschaulich und echt parodiert, dass meine Eltern sich nicht nur köstlich amüsierten, sondern meine Mama, als sie mal in der Schule war, alle meine Lehrer sofort und ohne dass die sich vorstellen mussten, treffsicher erkannte. Auf Grund der von mir nachgeahmten Mimik und Gestik sowie des Ganges und des Sprachduktus.“

Die Frage, ob sich bei Carolin schon beizeiten der spätere Beruf abzeichnete, erübrigt sich also. Während der Schulzeit spielte sie nicht nur Theater, sondern leitete eine Kinder- und Jugendtheatergruppe, inszenierte die Stücke „Tom Sawyer und Huckelberry Finn“ sowie „Kommissar Klotzigs schlimmster Fall“. Die Abiturientin  war am Theater Baden-Baden im Rahmen des „Freiwilligen Kulturellen Jahres“ als Regieassistentin und Darstellerin von Nebenrollen tätig.

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Kabale und Liebe

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Nicht wunder nahm es auch, dass sie, der Liebe zur Sprache folgend, zwei Semester Germanistik und Kunstgeschichte an der Philipps-Universität in Marburg studierte. „Deutsch war in der Schule schon mein Lieblings- und sogenanntes Neigungsfach, ich habe ‚Kabale und Liebe‘ geliebt und auch gerne selbst geschrieben“, blickt Carolin zurück, „während dieser Uni-Zeit habe ich allerdings hauptsächlich das mitgenommen, was für mich wichtig war und ansonsten viel und oft an Schauspielschulen in ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich vorgesprochen.“ Später schloss die junge Frau die Hochschule der Künste Bern zunächst als Bachelor in Theater ab und setzte danach mit dem Master of Arts in Theater/Vertiefung Scenic Arts Practice noch einen drauf.

Carolin Jakoby; Foto von Urban Ruths

Carolin Jakoby;
Foto von Urban Ruths

Während dieser Zeit bereits spielte die 1,67 Meter Frau auf Bühnen in der Schweiz, Italien, Tschechien und fand sich nach dem Studium im Festengagement am Landestheater Schwaben wieder. Ob es Zufall oder Schicksal war, dass ihre erste Rolle dort ausgerechnet die Luise in „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller war, sei dahin gestellt. Die Dinge nahmen ihren Lauf.

All diese Studien, auch die nicht speziellen für ihren Beruf, erachtet die Schauspielerin als „auf jeden Fall wichtig. Andere Kunstformen eröffnen mir neue Perspektiven auf Dinge, geben mir Input und Inspiration. Wir sollten in unserem Job viele Theaterstücke kennen, sowohl klassische als auch moderne.“ Zudem schöpft sie beispielsweise in ihrer künstlerischen Tätigkeit aus Erlebnissen aus dem richtigen, dem teilweise harten Leben.

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Der offene Blick

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Im vergangenen Jahr arbeitete Carolin Jakoby mit obdachlosen Frauen in der DRK Notunterkunft Spandau zusammen. „Die Zeit hat mich geprägt!“, schätzt sie ein, „ich hatte bis dahin noch nie damit zu tun, lernte Menschen kennen, die so am Boden sind, wie man nur am Boden sein kann. Vor allem ist es für sie schwierig, Freude zu generieren. Das hat mich nicht nur persönlich herausgefordert, das hat mir einen neuen Blick eröffnet. Gleichwohl erachtete ich als Geschenk, wenn ich spürte, wie ich einigen der Frauen Hoffnung machen konnte“.

Das selbstverdiente Geschenk, am Theater spielen zu dürfen, bedeutet der Frau mit den grünen Augen „sehr viel“. Und wenngleich bei allen Themen, über die sie sprach, Leidenschaft in ihrer Stimme mitschwang, legt sie hier noch einen Zacken zu: „Schon immer war das so, schon als Kind wollte ich das professionell machen. Das Publikum berühren. Es gibt nur den einen Moment auf der Bühne, darin liegt ein Reiz. Kein Abend ist wie ein anderer!“ Carolin schwärmt munter weiter. „Wie die Vorstellung ankommt, hängt (unter anderem) von mir ab. Mit den Kollegen, mit dem Publikum, entsteht ein gemeinsames Erlebnis.“

Am Schauspiel grundsätzlich findet Carolin Jakoby „das sich Hineinversetzen in andere Menschen“ faszinierend, „diesen spannenden Prozess“, in dem sie aus sich selbst schöpft, an sich selbst arbeitet und dadurch eine Bereicherung ihres eigenen Lebens verspürt: „Es geht um Menschen, auch um Psychologie. Der einzige Beruf, der mich erfüllen kann!“

Carolin Jakoby; Foto von Urban Ruths

Carolin Jakoby;
Foto von Urban Ruths

Den anderen Berufszweig, den vor der Kamera, schließt die junge Frau bei allem Theater nicht aus. Ganz im Gegenteil, je mehr sie sich hinein denkt, je mehr sie darüber philosophiert, um so stärker tauchen wieder diese leidenschaftlichen Schwingungen in der Stimme auf. „Bei aller Direktheit und allem persönlichen Kontakt auf der Bühne ist auch der Film für mich interessant“, setzt sie zur Erklärung an, „ich habe einen Lehrgang im Camera Acting Intensiv Studio am ISFF bei Detlef Rönfeldt absolviert, in Kurz- und Imagefilmen mitgewirkt und würde gerne auch mehr vor der Kamera stehen.“ Und einmal im Flow, findet Carolin eine Rolle, die sie „im Laufe einer Serie entwickeln kann“ sogar höchst spannend für sich.

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Der Nervenkitzel

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Vor den entscheidenden Momenten, in denen sie auf der Bühne (oder vor der Kamera) in eine Figur hinein schlüpfen und sie zum Leben erwecken muss, empfindet die Schauspielerin Nervosität. „Ich brauche diesen Kitzel“, plaudert sie aus dem Nähkästchen der Gefühle, „dann sage ich den ersten Satz – und zack – ist die Nervosität weg.“

Zunächst berichtet sie, dass jene Anspannung nur vor der Premiere eines Stückes besonders groß ist. Im Laufe des Gesprächs indes erinnert sie sich, dass selbst vor der 55. Aufführung von „Monsieur Claude und seine Töchter“ die volle Breitseite der Aufregung da war: „Das gehört wohl dazu.“

„In der Rolle“, ergänzt Carolin, „bin ich irgendwie halb/halb. Ich bleibe natürlich ich und gebe der Figur die Stimme und die Körperlichkeit, die erforderlich ist.“

„Die Kollegen“, so betont sie, „kitzeln im gemeinsamen Spiel etwas aus mir heraus. Sie lassen mich zur Höchstform auflaufen. Und umgekehrt. Das ist ein Austausch von Energie, es geht hin und her.“ Ob ihr Gegenüber dabei alter Hase oder junger Dachs ist, sieht die Schauspielerin als nicht entscheidend: „Im Zusammenspiel und Miteinander erforschen wir uns immer neu.“ So scheint es wenig verwunderlich, dass eine erste Aufführung (Premiere) beinahe komplett anders ausfallen kann als die letzte: „Die erste ist oft noch etwas hölzern, bei der letzten flutscht es durch!“

Carolin Jakoby, fotografiert von Urban Ruths

Carolin Jakoby,
fotografiert von Urban Ruths

Egal jedoch wo und wann; was oder wen Carolin stets gerne verkörpert und weiterhin verkörpern möchte, sind starke Frauen. Das sickert während des gesamten Gespräches und speziell auf die Frage nach der Traumrolle immer wieder durch. „Hedda Gabler, Die Frau vom Meer (auch weil das Stück so schön ist), die Lady Macbeth in William Shakespeares Drama“, das sind Figuren  beziehungsweise Stücke, die sie benennt. Die Luise Miller in „Kabale und Liebe“ hat sie schon gegeben, die Lady Milford aus dem selben Schiller Drama steht noch aus.  („habe ich auch schon gespielt, nur nicht in einer Inszenierung, sondern als Vorsprechrolle für ein Theaterengagement“)

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Direkt ins Herz

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Besonders erfrischend wurde es für die junge Frau, als sie 2015 in  „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, an der Astrid Lindgren Bühne in Berlin mitmischte: „Hier habe ich unter anderem die Frau Waas gespielt und den Riesen TurTur. Ich habe zwar kein Kind gespielt, sondern für Kinder und ich liebe das. Besonders, weil sie so ungehemmt, direkt und ehrlich sind. Wenn ihnen etwas nicht gefällt, dann zeigen sie es ganz deutlich. Auf der Bühne und bei den Proben generell ist es schön, wenn man es schafft los zu lassen und zu spielen wie Kinder. Voller Staunen.“

2013 in  „Endstation Sehnsucht“ in der Rolle der Stella am Landestheater Schwaben fühlte sich Carolin Jakoby auf eine eigene Art herausgefordert. „Die Stella entspricht mir, kommt mir sehr nah“, begründet sie und schwärmt zudem: „Eine meiner schönsten Arbeiten“.

Wenn die Schauspielerin selbst im Fernsehsessel sitzt oder im Kino, muss sie sich, um aus jener Sitzgelegenheit gerissen oder an ihr gefesselt zu werden, „berührt fühlen, lachen und weinen zugleich“, eine Reaktion tief in sich spüren. „In einem (Musik)Konzert passiert das relativ oft“, erzählt sie, „da werden andere Sensoren aktiviert. Musik geht direkt ins Herz.“ Und wenn das eine Theateraufführung schafft, sei sie „hin und weg“.

Wenn Carolin nicht  auf den Bühnenbrettern oder vor der Kamera aktiv ist, arbeitet sie beispielsweise mit Kindern und Jugendlichen als Theaterpädagogin. Wenn sie darüber spricht, geschieht es wieder: Die Leidenschaft in der Stimme, eh schon ständig spürbar und nie nachlassend, dreht nochmal so richtig auf. Sie erzählt unter anderem von einem „kleinen Stück“, das sie mit einem Jugendchor von zwölf und 13jährigen erarbeitet hat und von der bereits erwähnten Direktheit und Offenheit des kindlich-jugendlichen Spiels.

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Die Autorin

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Ihre eigenen kindlich-jugendlichen Aktivitäten als Autorin und Regisseurin lässt Carolin aufleben, indem sie sich in nächster Zeit mit einem eigenen Stück beschäftigen wird. Gemeinsam mit einer Performance-Künstlerin, einer Zirkusartistin und einer Schauspielerin entwickelt sie im Kollektiv einen Theaterabend der etwas anderen Art. „Drei Schwestern treffen sich nach Jahren zur Beerdigung ihres Vaters wieder. Alte Wunden werden aufgerissen, es wird skurril, lustig und abgedreht“, fasst sie zusammen, „und es spielt in einem Zirkuszelt. Einen Name hat das Ganze noch nicht.“

Carolin Jakoby; Foto von Urban Ruths

Carolin Jakoby;
Foto von Urban Ruths

Und irgendwie, wen wundert’s noch, scheint dieses Vorhaben mehr als lediglich irgendwas mal eben wieder aufleben lassen, irgendwas mal eben machen. Zu viel Leidenschaft, zu viel Liebe, zu viel eigene Persönlichkeit schimmert aus Carolins Art des Berichtens heraus…

Und wenn mir mein kleiner Bericht, mein kleines Porträt, über die junge Frau nur halb so gut gelungen ist wie ihre Lehrer-Parodien einst am elterlichen Mittagstisch, nur halb so gut wie das Stück (noch) ohne Namen mit Sicherheit werden wird, dann habe ich schon alles richtig gemacht. Ein bisschen.

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JJ

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Weitere Informationen: Webseite von Carolin oder Carolins Profil auf der Agenturseite

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Foto Startseite: Urban Ruths

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