Katharina Heyer spielte in vielen beliebten Fernsehserien und Filmen mit, stand auf Bühnen in Traumrollen, und grüßte von Kinoleinwänden. Aus meiner persönlichen Sicht basieren ihre Unverwechselbarkeit und ihr Ausdruck auf den kleinen Gesten, den winzigen mimischen Augenblicken und der pointierten Sprache; was sie für mich glaubhaft macht, überzeugend und echt.
Deshalb fragte ich Katharina nach ihrer Sicht von Schauspiel. Beginnend beim Studium über die Theater- und Filmrollen bis hin zu ihren Empfindungen und Gedanken, wenn der Vorhang aufgeht oder die Kamera surrt.
„Puh, das ist schwer, ich denke immer anders“
JJ: Katharina, du hast an der Universität der Künste Berlin Schauspiel studiert. Eine altehrwürdige Einrichtung (Gründung 1696). Hast du das gespürt, war diese Ausbildung eine bewegte, spannende, vielleicht verrückte Zeit für dich?
Katharina Heyer: Gerade gestern Abend habe ich mich mit „alten“ Kommilitonen getroffen und wie immer kam natürlich das Gespräch auf Anekdoten und Geschichten zurück, die sich in diesen knapp vier Jahren ereigneten. Manches kommt mir absurd vor, vieles ist lustig, aber alles recht intensiv.
Nachdem man aus hunderten Bewerbern unter die zehn auserkorenen Studenten gewählt wird, ist man nun auf Gedeih und Verderb diesen Leuten ausgesetzt und das jeden Tag, den ganzen Tag. Man teilt vieles und erfährt sehr viel über sich und die anderen. Es ist ganz schön extrem, und manchmal auch sehr anstrengend, überfordernd und sogar belastend, wie nah man sich kommt und wie sehr man sich öffnen muss. Dennoch ist so ein Studium am Menschen oder an der Menschlichkeit sehr empfehlenswert; ich möchte das nicht missen.
Die Universität der Künste ist ein toller Ort, ich habe es immer als ein großes Privileg angesehen, dass ich dort studieren durfte, nicht nur weil man mit großen MeisterInnen der Zunft arbeiten darf, wie beispielsweise Edith Clever oder Loriot, sondern auch, da sich verschiedene Studiengänge treffen können.

Katharina Heyer, fotografiert von D.R. Heidinger
Ich habe es zum Beispiel geliebt, in der wenigen freien Zeit im Sommer im Ruinengarten zu sitzen oder die Kunststudenten in ihren Ateliers zu besuchen. Das Fächerübergreifende, also auch mit Modedesign-Studenten oder Szenischen Schreibern zusammen zu arbeiten, fand ich sehr inspirierend. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich keinem blinden Dogma oder irgendeiner ideologischen Idee hinterher rennen muss, sondern mich entfalten kann und einsammle, was mir liegt.
JJ: Und wann ging es los mit deinen Schauspielambitionen, wann war dir klar, dass du den Weg definitiv gehen wirst?
Katharina Heyer: Ich denke, dass ich früh meine künstlerischen Ambitionen entdeckt habe. Ich war immer begeistert vom Schauspiel, aber auch von der bildenden Kunst und der Musik. Ich war immer fasziniert von Leuten, die Ihren ganz eigenen künstlerischen Ausdruck gefunden haben. Ich habe früh angefangen Klavier und Gitarre zu spielen, meine eigenen Lieder zu schreiben, Auftritte mit Bands zu haben, und zu malen. Das klingt nun sehr pauschal, aber all diese Welten haben mich erfüllt, mir die Einsamkeit, die ich als junger Mensch fühlte, erträglicher gemacht; es war mein Mittel, mich mitzuteilen und teil zu nehmen an der Welt und an den Menschen.
Ich hatte immer das Gefühl, dass die Banalität der Realität durch die Abstraktion der Kunst irgendwie erhabener, greifbarer, erlebbarer, reicher wird. Menschliche Abgründe zu erforschen, ist nach wie vor für mich von größtem inneren Interesse.
Nach meinen Abitur wollte ich erstmal reisen, dann kam durch einen privaten Schicksalsschlag alles anders und siehe da, irgendwie kam ich darauf, mich an der Schauspielschule zu bewerben. Ich war 19 und mir war nicht klar, auf was ich mich da einließ… Im Nachhinein ergibt es sehr viel Sinn, wie so vieles.
JJ: Du hast – aus meiner Sicht – Wahsinnsrollen (Traumrollen) gespielt. Erzähle bitte mal ein bisschen, wie hast du dich gefühlt als die schöne Helena in „Die Troerinnen“?
Katharina Heyer: Wahr! Ich schätze mich überglücklich mit den Rollen, die ich am Theater, aber auch teilweise in Film und Fernsehen, zugedacht bekomme!
Als ich Helena „antrat“, hatte ich gerade herausgefunden, dass ich schwanger war! Das hat den Konflikt der Rolle nochmals verschärft, harhar. Aber im Ernst, jetzt mal nebst dem Fakt, dass sie schön sein soll, ist sie durchaus auch eine sehr schillernde, sehr ambivalente, starke Figur. Sie hat einen kolossalen Krieg ausgelöst, über den man noch nach tausenden Jahren spricht.
War sie manipulierend, hat sie nach ihrem Herzen gehandelt, all das sind Fragen, die man für sich klären muss. Wie fühlt es sich an, von einem ganzen Volk gehasst und verachtet zu werden, wie schafft man es, dem sicheren Tod zu entgehen, wenn der Exmann die neue Heimatstadt in Asche legt und Rache und Vergeltung fordert? Sie hat dies geschafft, nicht nur mit ihrem reizvollen Wesen, sondern mit der Kraft von Argumenten. Ihre letzten Worte im Stück sind: „Töte mich nicht, verzeihe.“ Das ist in unserer Welt, die von Kriegen und unverzeihbaren Konflikten geprägt ist, doch sehr modern.
JJ: Und wie blieb dir die Nachtclubsängerin Sally Bowles im Musical „Cabaret“ in Erinnerung?
Katharina Heyer: Loved her! Es ist und bleibt ein Fest, mit Ensemble und Orchester auf der Bühne zu singen, zu tanzen und zu spielen. Es ist herausfordernd und belohnend zugleich. Man weiß, die Leute erfreuen sich an diesem Zusammenspiel. Man hat durch die Musik auch nochmals andere Mittel zu Verfügung zu berühren und sich auszudrücken. Wir hatten ein traumhaftes Arrangement von Hans Kaul zu „Maybe this time“, die Tränen, die mir jedes Mal in die Augen schossen, waren nicht hergestellt, sondern einfach da. Auch bei ihr verbindet sich die Tragik mit einer Kraft und dem Willen zu wachsen.
JJ: Die Lady Macbeth war, so denke ich laienhaft als Interessierter, wieder eine komplett andere Rolle. Wie war es für dich, sie zu verkörpern? Liegt genau darin, total unterschiedliche Charaktere in genauso unterschiedlichen Zeiten zu spielen, für dich ganz persönlich ein Reiz deines Berufes?
Katharina Heyer: Ja, und nein. Die Lady ist an einem dunkleren Ort, so viel steht fest. Sie ist einsam und geschlagen dadurch, dass sie keinen Sohn zur Welt bringt, eine der wichtigsten Währungen der Frau zur damaligen Zeit. Sie ist angetrieben vom inneren Eifer, diese Unfähigkeit zu verdrängen.
Dennoch ist sie stark, übt Einfluss aus und bekommt letztendlich ihren Willen, Königin zu werden. Der Preis war zu hoch und sie konnte ihn nicht tragen.
Jede Rolle, jede Inszenierung, hinterlässt ein Gefühl, in eine Welt gesehen zu haben, die einzigartig ist. Das liebe ich am Theater ganz besonders. Es ist der stetig gleiche Raum und wird jeden Abend zu einem neuen Kosmos. Das ist zauberhaft und sicher einer der Reize des Berufes.
JJ: Siehst du solche Rollen selbst als Traumrollen, oder denke nur ich als Außenstehender so, Katharina?
Katharina Heyer: Ich sehe das genauso. Meine Traumrollen am Theater waren die Maria Braun und die Helene aus „Die Mittagsfrau“. Ich verschwende mich gern auf der Bühne, da konnte ich das bis zur Erschöpfung tun. Auch haben diese beiden Inszenierungen zu sehr interessanten Gesprächen mit Theaterbesuchern geführt, und darum geht es ja auch: zu bewegen.
JJ: Wie fühlst du, während du vor laufender Kamera oder auf der Bühne in eine Figur schlüpfst? Genau in den Momenten, was passiert in dir?
Katharina Heyer: Puh, das ist schwer, ich denke immer anders. Manchmal hat man so einen direkten Zugang zu einem Stoff, manchmal ist das ein Weg, von dem man am Schluss noch nicht mal weiß, ob es der richtige war. Jede Probe ist anders, jede Vorstellung. Ich denke, das ist etwas gutes, da ich das Einstudierte und Unveränderbare nicht so sehr schätze, sondern mehr im Moment da sein möchte und wirklich reagieren will.

Katharina Heyer, fotografiert von D.R. Heidinger
Bei manchen Rollen weiß man aber auch ab einem gewissen Moment, dass man sie nun hat oder eben ist, dann kann man nichts mehr „falsch“ machen, das ist ein sehr gutes Gefühl. Manchmal, gerade bei kurzen Gastauftritten am Set, bleibt eine Nervosität oder Unsicherheit bestehen, das ist dann wiederum nicht so schön.
JJ: Was bewirken gut aufgelegte Schauspielkollegen mit dir, was das Publikum? Und was ist, wenn du als Katharina einen besonders guten oder nicht so guten Tag erwischt hast, wirkt sich das aus auf dein Spiel?
Katharina Heyer: Gute Kollegen, freundliche Kollegen, Regisseure, die sich etwas Zeit nehmen, bedeuten einen großen Unterschied, das wirkt sich natürlich auf die Qualität des „Produktes“ aus. Gerade weil wir in so einem befindlich/empfindlichen Gewerbe sind. Keiner kann das Beste aus sich rausholen, wenn man das Gefühl hat, dass man in einer nicht wohlgesonnenen Atmosphäre ist. Das ist noch wichtiger als die Tagesform.
JJ: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte deine Darstellung der Titelrolle im ZDF-Psychothriller „Die Frau hinter der Wand“ 2013 so: „Femme fatale, wie man sie im deutschen Fernsehen selten sieht“. Was macht Kritik, in dem Fall sehr, sehr lobende, mit dir?
Katharina Heyer: Oh, da gab es hübsche Kritiken! Mein Lieblingszitat war in einer amerikanischen Cinema Zeitschrift und lautete ungefähr so: „Heyer can put the aforementioned Sharon Stone to shame with glee.“ Also dass ich die Basic Instict Frau in die Tasche stecke. Das lässt mich nicht kalt, da bin ich eitel und freu mich!
Dennoch: Kritiken natürlich mit Bedacht geniessen, klar. Aber bis jetzt habe ich Gottseidank meine Arbeit anscheinend recht ordentlich absolviert, einen Verriss über meine Schauspielqualität kam mir noch nicht unter… wer weiß, vielleicht bald? Viel Feind, viel Ehr…?
JJ: Katharina, zu guter Letzt, findest du in eine so intensive Rolle schwieriger, länger, anders hinein und auch wieder heraus, oder geht das bei dir profimäßig von jetzt auf gleich?
Katharina Heyer: Es gibt schon so Rollen, da denke ich direkt beim lesen, oh ja! Das ist meine. Bei „Die Frau hinter der Wand“ ging alles sehr schnell. Nach dem ersten Gespräch mit Grzegorz Muskala (Regie) haben wir uns prompt für eine Arbeitsprobe verabredet, danach stand das Ding und ich war sehr erleichtert. Dann ging es weiter mit Arbeitsproben mit Florian Panzer, der meinen Freund spielte. Die Szenen mit ihm sind nicht so ausführlich im Film, daher war klar, dass wir etwas Anlauf nehmen mussten, um ganz intensiv die Krassheit und Heftigkeit der Beziehung zu etablieren.
Das hat gut funktioniert und so kam ich schnell in die Materie. Die ganze Drehzeit war sehr wild, da ich auch bei mir beobachte, dass ich Teile des Wesens der Rolle in mir aufnehme oder etwas zum Vorschein kommt durch die Arbeit. Gerade die Intensität der Liebesszenen, oder auch einen Tag lang im Sterben zu liegen, bleibt etwas länger haften.
Dennoch weiss ich für mich, dass ich Privates und Berufliches nicht immer vermischen möchte und mir simple Fragen stelle, wie zum Beispiel, was ich will im Leben, wie will ich leben, wer oder was erdet mich, wenn diese Zeit vorüber ist. Dann kann man meiner Meinung nach gesund bleiben in diesem Umfeld und mehr noch, alle Seiten, die der normale Alltag nicht mit sich bringt, auch leben und dafür sehr erfüllt und dankbar sein.
JJ: Danke Katharina.
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