Manches schwerer, manches leichter…

 

Selina Ströbele lebt in Österreich und spielt sehr viel Theater. Es bedurfte also eines Riesen-Zufalls, dass ich auf sie aufmerksam wurde. Und das ist gut so!

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Warum? Schaut selbst, liebe Leserinnen und Leser. Lest die Fragen und genießt die Antworten:

 

„Ich versuche, bewusst mehr Spaß zu haben und zu genießen“

 

JJ: Selina, als Kind war ich, wenn ich nicht Robin Hood war, gerne mal einer der Musketiere. Du hast 2013 während der Sommerspiele Kottingbrunn die Lady De Winter gegeben. Hätte ich als Athos meine Freude an dir, beziehungsweise deiner Rolle gehabt?

Selina Ströbele: Lady De Winter ist eine Traumrolle, bei der ich als Schauspielerin alle Register ziehen konnte: Sie ist gefährlich, blitzschnell im Denken und Handeln und übt eine überaus große Anziehung auf ihre Umgebung aus. Ihre Waffen sind ihre Skrupellosigkeit, ihre Schönheit, ihr messerscharfer Verstand. Wie ein Chamäleon passt sie sich jeder Situation an, manipuliert, intrigiert. Bis auf wenige Momente ist sie im Hochstatus, das heißt, sie dominiert die anderen Figuren im Stück. Das spiele ich eher selten, und es ist spannend, weil es mir als Privatperson wenig entspricht.

Ich sehe einen Charakter, den ich spiele, aber niemals eindimensional, sondern gehe in die Tiefe und ergründe, warum die Person so ist wie sie ist. Was verbirgt sie? Wo sind ihre Schwachpunkte? Wenn ich es schaffe, dann auch diese verletzliche Seite hervorblitzen zu lassen und mich zwischen den Gegensätzen einer Figur hin- und her zu bewegen, wird eine Rolle vielschichtig und interessant.

Im Fall der Lady ist das ihr furchtbares Geheimnis, das sie bewahren muss, und erlittene Traumata, die sie zu der gemacht haben, die sie ist. Als Schauspielerin ist man immer Verteidigerin der eigenen Rolle, auch wenn es sich um jemanden handelt, der so brutal agiert, wie Lady de Winter es tut.

Schlussendlich kommt es im Stück zum Showdown, sie wird gestellt und gerichtet und bricht zusammen. Das alles zu spielen, diese ganze Palette eines Charakters, war jeden Abend ein großes Abenteuer, sehr aufregend, anstrengend und besonders.

JJ: Erzähle bitte mal an dem Beispiel (oder an einem beliebigen anderen), wie du dich einer Figur annäherst, ab wann du hineinschlüpfst, was dir dabei hilft, und wie schnell du wieder draußen bist (schneller als aus dem Kostüm)?

Selina: Im Vorfeld der Proben befasse ich mich intensiv mit dem Text und arbeite dabei sowohl analytisch als auch intuitiv: Beim ersten Lesen des Stückes schreibe ich mir erste Eindrücke auf und erarbeite diverse Informationen über die zu spielenden Figur heraus: Was sagt sie über sich selbst, was sagen andere über sie, was erfahre ich durch Regieanweisungen? Ich stelle mir anhand der von Michael Shurtleff beschriebenen „12 Wegweiser“ viele Fragen zur Rolle, zum Beispiel: Wofür kämpft die Figur? Wo ist die Liebe? Welche Gegensätze vereint die Figur? Wo finde ich Humor?

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Im Probenprozess geht es dann darum, Verschiedenes anbieten zu können und es in Übereinstimmung damit zu setzen, was der/die RegisseurIn erzählen möchte. Essenziell ist natürlich, mich auf die anderen Figuren einzulassen, ihnen zuzuhören und zu reagieren. Innerhalb des Probenprozesses kommen dann natürlich viele Regieanweisungen dazu, meine Textbücher sind voller Notizen.

Kurz vor der Premiere habe ich dann hoffentlich alles Wichtige verinnerlicht und konzentriere mich auf die drei bis vier wichtigsten Aspekte der Rolle. Von hoher Komplexität ausgehend versuche ich, zu Einfachheit und Klarheit zu finden.

Vor der Vorstellung schminke ich mich gerne selbst, weil ich mich dadurch konzentrieren und bei mir und in der Rolle ankommen kann. Das Kostüm hilft natürlich auch, noch wichtiger sind die Schuhe. Beim Schlussapplaus bin ich schon wieder recht privat, ich kann schnell zwischen Rolle und privat switchen.

JJ: Bei der Gelegenheit, wenn du auf der Bühne stehst und dein Stichwort fällt, oder wenn du am Kameraset stehst und der Regisseur sagt „Bitte“, was passiert in dir, was fühlst, spürst, denkst du in diesen Momenten, in denen du liefern musst?

Selina: Kurz bevor ich loslege, achte ich auf meinen Atem und rufe das Grundgefühl und die wichtigsten Gedanken und Anweisungen zur folgenden Szene auf. Es ist tagesabhängig: Manchmal brenne ich darauf, loszulegen und surfe wie auf einer Welle durch die Szene. Manchmal fällt es mir schwerer, rein zu kommen, und ich muss diszipliniert herstellen und abrufen, was verlangt wird.

Mit den Jahren versuche ich mehr und mehr, bewusst Spaß zu haben an allem was ich tue und es zu genießen. Ich bin mir sicher, dass man dann eine bessere Leistung erbringt. Nervosität ist selten ein Problem, und wenn, dann kann ich gut damit umgehen.

JJ: Und: Was machen deine, im günstigsten Fall bestens aufgelegten Spielpartner, mit dir?

Selina: Schauspiel ist absolute Teamarbeit und bisher hatte ich viel Glück, weil ich mich mit fast allen KollegInnen sehr gut verstanden habe. Wichtig ist, miteinander zu spielen, zuzuhören, zu nehmen und zu geben. Das erfordert Wachheit und Durchlässigkeit.

Selten habe ich Schauspieler getroffen, die unmotiviert ihre Arbeit abspulen. Die große Mehrheit arbeitet hart und gibt viel für diesen Beruf. Unsere Arbeit ist recht intim, wir öffnen uns emotional und kommen uns nah. Im besten Fall ist ein großes Vertrauen vorhanden und ein respektvoller, freundlicher Umgang, der einen motiviert, sein Bestes zu geben.

Andersherum habe ich es aber auch schon erlebt: Wenn eine angstvolle, gestresste Atmosphäre herrscht, wirkt sich das negativ auf der Leistung aus, in der Schauspielerei vielleicht noch mehr als in anderen Berufen. Sehr wichtig ist, dass der/die RegisseurIn den SchauspielerInnen Vertrauen entgegenbringt. Ich mag es, wenn viel verlangt und hart gearbeitet wird. Wenn aber dieses Vertrauen kaum vorhanden ist, wird nicht viel dabei herauskommen. Ein unsicherer Schauspieler ist selten richtig gut.

JJ: Wenn ich mir so anschaue, welche Rollen du an Theatern schon verkörpert hast, Selina, sind klangvolle Namen dabei. Schlummert der eine oder andere Traum in dir, wen, was, mit wem, wo du gerne spielen möchtest?

Selina: Einige Träume sind tatsächlich schon in Erfüllung gegangen. Ich habe es als Ehre empfunden und es hat mich wahnsinnig gefreut, beispielsweise Desdemona in „Othello“ oder Jelena in „Onkel Wanja“ spielen zu dürfen – große Rollen, die jeder kennt. Generell freue ich mich immer, viel Neues ausprobieren zu dürfen, mit neuen Menschen und an verschiedensten Projekten zu arbeiten. Sehr interessant wäre einmal eine griechische Tragödie, beispielsweise Antigone oder Elektra. Generell würde ich gerne mehr drehen – in den letzten fünf Jahren hat es mir dazu meist an Zeit und Gelegenheit gefehlt.

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Ich würde mir wünschen, vermehrt mit Regisseurinnen und Intendantinnen zu arbeiten. Im Laufe der Zeit ist mir zunehmend bewusst geworden, wie sehr der männliche Blick in Theater und Film immer noch dominiert. Die allermeisten Frauenfiguren werden zuerst einmal von männlichen Autoren geschrieben und dann von Männern inszeniert. Das ist per se nicht schlecht, aber viel zu einseitig und bildet die Wirklichkeit nicht ab.

Zudem spielen nach wie vor Klischees eine zu große Rolle. Wie du aussiehst bestimmt darüber, was du spielen darfst, und wenn ich beispielsweise ausgeschriebene Castings für Kurzfilme lese, steht bei so gut wie jeder weiblichen Rollenbeschreibung, dass sie „schlank“ und „attraktiv“ zu sein hat. Das finde ich furchtbar!

Gleichzeitig spiele ich, im wahrsten Sinne des Wortes, das Spiel mit. Es ist eine Gratwanderung und ich weiß noch nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Auf jeden Fall wünsche ich mir mehr Diversität und weniger Schubladendenken, auch im Sinne des Publikums.

JJ: Magst du das, was an Theater charakteristisch ist (direkter Publikumskontakt, live, kein zweiter Anlauf möglich) ebenso wie das, was vor der Kamera wichtig ist (Wimpernschläge, Details)?

Selina: Ich bin in erster Linie des Theaters wegen Schauspielerin geworden. Es ist schön, ein Stück im Probenprozess zu erarbeiten und es dann jeden Abend runter zu rocken. In zwei Stunden zu erzählen, was sich auf ein halbes Leben verteilt und den Zuschauer auf eine gemeinsame Reise mitzunehmen, finde ich sehr spannend.

Drehen ist anders. Man muss auf den Punkt genau abliefern, es geht viel um Technik, Wiederholbarkeit, schummeln ist unmöglich. Beides hat seinen Reiz, aber mein Herz gehört dem Theater.

JJ: Ist es dann noch idealer, wenn du mal hier, mal da spielst, Abwechslung hast?

Selina: Abwechslung ist natürlich ideal. Immer mit neuen Leuten zu arbeiten erfordert Wachheit und Flexibilität, man entwickelt sich weiter. Andererseits freue ich mich natürlich, wenn ich wieder mit KollegInnen arbeiten kann, mit denen es schon einmal schön war und gut geklappt hat.

JJ: Fasse bitte deine Faszination Schauspiel an dieser Stelle mal zusammen, Selina.

Selina: Ich bin Schauspielerin geworden, weil ich damit zeitweise in das Leben anderer Personen eintauchen und dieses ein wenig mit(er)leben darf, ohne dabei wirklich leiden oder sterben zu müssen. Mich in andere hineinzuversetzen, die Menschen und ihre Beziehungen zueinander, ihre Leben zu sezieren und ihre Geschichten zu erzählen, finde ich in höchstem Grade interessant und bereichernd.

Es ist ein Privileg, sich beruflich mit Literatur, Kunst, Sprache, dem Körper, Musik, mit dem „Mensch sein“ auseinandersetzen zu dürfen. Der Schauspieler Joachim Meyerhoff, den ich sehr mag, hat einmal gesagt, dass es darum geht, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Das finde ich spannend.

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Ich war vier Jahre alt, als ich das erste Mal in einem Kindermusical mitspielen durfte, und es war irgendwie um mich geschehen. Richtig erklären kann ich es auch nicht, es ist einfach so. Und ich bin glücklich und dankbar, Schauspielerin zu sein.

JJ: Ich kann mir vorstellen, dass du richtig gut die Coolen spielst, Selina, ebenso total emotionale Rollen, am Rande des Abgrundes, oder auch gerne und authentisch dem Affen Zucker gibst. Liege ich richtig? Geht auch die Lady arrogant? Geht alles?

Selina: Ich denke, dass alles geht, wobei mir manches sicher schwerer, manches leichter fällt. Ich weiß, was mir liegt, was ich mag. Ich spiele gerne Komödie, ich singe gerne. Ich mag die hoch emotionalen Dramen, in denen die Extreme des Mensch seins ausgelotet werden, von tiefster Liebe zu größtem Hass.

Respekt habe ich vor Stücken, die an die Nieren gehen. Wenn man sich wochenlang mit furchtbaren Geschichten beschäftigt, mit Gewalt, Missbrauch, Terror, dann geht das nicht spurlos an einem vorüber.

JJ: Was macht Feedback mit dir, Kritik (egal, ob so oder so)?

Selina: Natürlich freue ich mich über gute Kritik, und negatives Feedback ist nicht so schön. In der Zusammenarbeit mit Regisseuren ist es unerlässlich, eine Rückmeldung zu bekommen, schließlich kann man sich nicht selbst beobachten, während man spielt. Aber so oder so versuche ich, sowohl zu Lob und als auch zu Kritik einen gesunden Abstand zu wahren. Schauspielerei ist nun mal subjektiv. Ich bin sowieso schon selbstkritisch, ohne mich aber selbst zu zerfleischen.

JJ: Mir hat eine Kollegin von dir von der  Schauspielschule Krauss vorgeschwärmt, und von Wien. Stimmst du ein in die Laudatio?

Selina: Ich hatte eine wunderschöne Zeit an der Schauspielschule Krauss. Wir hatten sehr viel Unterricht und gute Lehrer. Ich hätte mir allerdings mehr Strenge von Seiten der Lehrer gewünscht.

Es ist wichtig, dass man sich auf der Schauspielschule in geschütztem Rahmen ausprobieren kann. Das hat dann auch viel mit einem selbst zu tun: Wie ernst nehme ich das alles, wie sehr strenge ich mich an? Bereite ich mich vor, übe ich zu Hause, arbeite ich parallel zur Ausbildung schon am Theater oder drehe Kurzfilme?

Man muss es wollen und jede Chancen nutzen, sich weiterzuentwickeln und das Bestmögliche aus seiner Ausbildung herausholen, das gilt für jede Schule.
Was Wien betrifft: Genau heute vor zehn Jahren bin ich angekommen, und ich liebe die Stadt nach wie vor.

JJ: Wen siehst du gerne in Aktion, egal ob Hollywood, Wien oder Babelsberg?

Selina: Ich habe nicht wirklich Vorbilder. Spontan fallen mir Meryl Streep und Leonardo DiCaprio ein. Vorbildhaft sind meine KollegInnen, wenn ich sehe, worin sie besonders gut sind und wie sie sich weiterentwickeln.

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

Selina Ströbele, Foto von Robert Krenker

JJ: Wann haut dich ein Film aus dem Sessel?

Selina: Wenn er etwas in meinem Inneren berührt. Wenn er mir noch ein paar Tage nachhängt, mich inspiriert oder schüttelt. Wenn er mir eine neue Welt eröffnet. Darum geht es für mich beim Schauspiel: Kurzzeitig in eine andere Welt einzutauchen, sei es auf der Bühne, vor der Kamera oder im Publikum.

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JJ: Vielen Dank, Selina, viel Spaß weiterhin.

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Weitere Informationen: Selinas Webseite

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Foto Startseite: Robert Krenker

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