Die Tür zur Rolle

 

Das „Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen“ ist von den Brüdern Grimm. Ewig her. Und wahrscheinlich zumindest so ähnlich öfter mal geschehen. Anna Maria Sosnik zog auch aus. Vielleicht nicht, um das Fürchten zu lernen, indes manchmal ebenso abenteuerlich.

Anna Maria Sosnik, Foto: Clemens Haardiek

Anna Maria Sosnik, Foto: Clemens Haardiek

 

Nur mit einem Koffer

 

„Mit nur einem Koffer fuhr ich nach Berlin, um Schauspiel zu studieren, ohne da eine Wohnung zu haben“, blickt sie zurück, „erstmal zog ich zu einer Freundin.“ Wie sich das für ein Märchen gehört, gesellte sich ein Hauch Romatik dazu, eine leicht zweifelhafte Romantik, aber immerhin: „Meine erste eigene Wohnung hatte einen ochsenblutfarbigen Dielenboden, einen Kohleofen und die Dusche in der Küche.“

Am Versuch, nach dem üblichen und stets gut gemeinten elterlichen Rat, „erstmal was Vernünftiges“ zu lernen, hatte es auch Anna nicht gemangelt. Sie absolvierte, statt mit 16 Jahren schon in London nach dem Schauspielglück zu streben, ihr Abitur und studierte – sehr vernünftig!! – Germanistik. In diesem Rahmen gab es das Seminar „Theatersalon“. Die Studierenden kreierten eigene Stücke, veranstalteten Lesungen, führten Regie. Anna Maria Sosnik betrat, und darauf kommen wir später nochmal zurück, das Düsseldorfer Schauspielhaus.

„Insgesamt war ich unglücklich, unzufrieden, mich packte das Fernweh“, erzählt sie. Und griff zum Koffer…

„Im ersten Semester an der Schauspielschule waren wir alle total aufgedreht“, erinnert sich die 1,73m Frau mit den bernsteinfarbenen Augen, „mussten große Auseinandersetzungen mit uns selbst führen. Die Kammer ganz unten aufmachen.“ In diesem Metier also fühlte Anna Maria sich zuhause.

 

Das Herz unterm Hals

 

Und inzwischen auf der Bühne und vor der Kamera. Sie macht, was diese beiden Betätigungsfelder anbelangt, Unterschiede. Deutliche manchmal. „Am Theater kann ich sehr nervös sein, Lampenfieber haben, bevor es los geht“, plaudert sie aus dem Nähkästchen ihrer Gefühle. „Funktioniert es? Lacht das Publikum an den vorhergesehenen Stellen?“ Diese Fragen stellt sie sich und „das Herz schlägt bis zum Hals“. Allerdings nicht ewig. „Zwei, drei… vier Sekunden“, beruhigt die Schauspielerin, und ist dann voll und ganz in ihrem „Jetzt!!“.

Anna Maria Sosnik; Foto: Clemens Haardiek

Anna Maria Sosnik; Foto: Clemens Haardiek

Etwas anders stellt sich das am Filmset dar: „Da bin ich ruhiger. Es gibt mehrere Takes, mehrere Chancen, an dem zu arbeiten, was die Zuschauer später sehen.“

Der letztlichen Verwandlung in der Garderobe mit Maske und Anziehen des Kostüms in jene darzustellende Figur geht selbstverständlich auch bei der mittlerweile Berlinerin eine gründliche Vorbereitung voraus. „Schon vor dem ‚Bitte‘ des Regisseurs muss ich drin sein in der Rolle, berichtet sie, „wenn das Licht eingerichtet wird, die Stellprobe läuft. Fange ich erst mit dem ‚Bitte‘ an, ist es zu spät.“

 

Klinke runter, Tür auf

 

Als neben-sich-selbst-stehen, um beim Dreh eine gewisse Kontroll- oder Steuerfunktion einzunehmen, bezeichnet Anna Maria die Vorgänge in ihrem Inneren dabei nicht. Eher so: „Ich drücke eine Klinke herunter, mache eine Tür auf und gehe in ein anderes Zimmer. Dadurch verliere ich weder die letzte Kontrolleinheit, noch mich selbst in der Figur!“ Egal indes, ob auf den Theaterbrettern oder vor der Kamera, den schlimmsten Fall („Ich bin Anna – statt die Rolle – und sage nur den Text.“), möchte sie nicht eintreten lassen.

Nach Dreh oder Vorstellung (je nach dem), „hängt mehr oder weniger jede Rolle nach“, befindet sie, „in irgendeiner Weise. Manche ein, zwei, drei Stunden, manche fallen mit dem Vorhang, dem Applaus oder dem ‚Danke‘ des Regisseurs“.

Zudem befindet Anna Maria Differenzen in der Wahrnehmung lockerer, witziger Rollen im Vergleich zu dramatischen, emotionalen. „Bei den leichten gehe ich mit guter Laune raus, bei den tragischen nachdenklich, angespannt. Das spüre ich eher“, meint sie und erzählt eine Anekdote: „Nachdem ich eine Selbstmörderin mit Monolog im Abgang zu spielen hatte, ging ich danach raus und verlangte erstmal einen Schnaps und ein Bier.“

 

Das Ping Pong Spiel

 

Ihren Job begreift die Schauspielerin als Mannschaftssport. „Im Team schaukeln sich gute Form und gute Arbeit gerne gegenseitig hoch“, stellt sie fest, „es macht einfach Spaß, dieses Ping Pong Spiel.“ Gleichwohl hat sie die andere Seite kennengelernt: „Es kommt auch manchmal nichts zurück von Partnerin oder Partner, oder in einem Fall auch mal aus meiner Sicht ungerechtfertigte Vorstellungen und Vorwürfe. Das machte mich wütend und ich dachte, die Einstellung dadurch geschmissen zu haben. Die schlechte Laune jedoch (auch wenn sie nie aufkommen sollte) und die Angespanntheit passten wunderbar zur Szene. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die zunächst missliche Situation für das Resultat optimal war.“

Anna Maria Sosnik; Foto von Marco Fechner

Anna Maria Sosnik; Foto von Marco Fechner

Abenteuerlich, wenn auch wenig märchenhaft, trägt es sich gelegentlich zu, wenn sich die junge Frau zum Arbeitsplatz aufmacht. Zeitgemäß mit der U-Bahn. „Da unterhalte ich mich schon mal mit der Figur, die ich gebe – oder mit dem Spielpartner“, verrät sie. Nur dass der mit einer anderen Bahn oder seinem Auto unterwegs ist.

Ähnlich auf dem circa halbstündigen Weg zum „aufBruch“ Theater mit dem Fahrrad, da geriet sie, je weiter die Proben fort schritten, um so mehr in eine Art Trance: „Die Konzentration auf die Straße wich der Konzentration auf den Job danach.“ Passiert ist nichts und das Rad gibt’s nicht mehr, so viel zur Beruhigung.

Ob Anna ihre diversen Erfahrungen aus Ballett, Pantomime oder Kung Fu irgendwie für ihre Schauspieltätigkeit nutzen kann, ob sie deswegen den Körper sicherer beherrscht, sich mimisch und gestisch überzeugender ausdrücken kann, bleibt im Märchenwald-Dunkel. „Zeitweise sogar eher im Gegenteil“, räumt sie mit Blick auf Ballett- und später Schauspielschule ein, „ich hatte zu viel Körperbeherrschung, musste wieder locker werden, lernen los zu lassen.“ Die pantomimischen Fähigkeiten indes, hält sie für möglich, „können unterbewusst eine Rolle spielen“. Wenn sie in einer Sequenz eines Filmes mit ihrer Beteiligung beispielsweise den Kopf nur ein Stück zur Seite neigt – nur für einen Moment – und damit mehr ausdrückt als ein Satz mit 24 Kommas.

 

Einmal… 1000 Mal

 

Filme, die Anna Maria so richtig mitnehmen, so, dass sie eine Weile braucht, um die Eindrücke zu verdauen, oder deren Eindrücke sie gar nicht verdauen will, können in ihr ganz verschiedene Reaktionen auslösen. „Requiem for a Dream, das Drama von Darren Aronofsky beispielsweise möchte ich nicht nochmal sehen. Es war so schrecklich schön, so furchtbar und emotional – mit krasser Wirkung“, zeigt sie sich nach wie vor bewegt und wird „richtig sauer, wenn der Soundtrack in einem anderen Kontext gespielt wird.“

Anna Maria Sosnik; Foto: Marco Fechner

Anna Maria Sosnik; Foto: Marco Fechner

Genauso im Herzen, indes mit anderer Konsequenz, setzte sich „Die Reste meines Lebens“ (Drama/Komödie/Romanze) von Jens Wischnewski in der Schauspielerin fest. „Den Streifen möchte ich noch 1000 Mal sehen. Der hatte alles. Ich saß im Kino und wollte nicht, dass jemand sieht, wie ich heule. Als nach Filmende der Regisseur auf die Bühne geholt wurde, stellte ich fest, dass er zwei Plätze neben mir gesessen hatte. Die ganze Zeit“, denkt sie gerne zurück.

Kolleginnen oder Kollegen zu nennen, die Anna einfach nur gerne spielen sieht, fällt ihr schwer, weil es Weglassen bedeutet. Und wenn, dann muss sie nicht nach Übersee, nicht nach London oder Hollywood. „Liv Lisa Fries finde ich klasse“, nennt sie dann doch einen Namen.

Und rückblickend auf ihre Kindheit auch den Namen von Michelle Pfeiffer. „Ein bisschen ist sie mit verantwortlich, dass ich Schauspielerin werden wollte“, erinnert sich die junge Frau, „als Catwoman war sie für mich fast das Leitbild der starken Frau. Meine Oma hatte mir immer ein eher konservatives, überholtes Frauenbild gezeichnet und nun wusste ich, Frauen können auch anders!“

 

Hat geklappt!

 

Als einer auszog, das Fürchten zu lernen, lernte er es, wenn auch auf abenteuerliche, märchenhafte Weise und auf Umwegen. Als Anna Maria einst auszog, das Schauspiel zu lernen, ging es zuweilen beinahe genauso abenteuerlich zu, manchmal märchenhaft und letztlich so wie bei den Brüdern Grimm. Es hat geklappt!

Auf einen weiteren Weg indes möchte sich die jetzt Berlinerin gerne machen. Dahin, wo irgendwie und ein bisschen alles begann, ans Düsseldorfer Schauspielhaus: „Dort, da wo ich her komme, ein Engagement, das ist ein Träumchen ;-)“

JJ

Weitere Informationen: Webseite von Anna Maria oder facebook Seite von Anna Maria

Foto Startseite: Marco Fechner

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