Dichterwettstreit heute

 

Sarah Kerstings Vortrag, auf den ich zufällig stieß, berührte mich tief.  Genau das hat sie vor mit ihren Zuhörern. Bein Poetry Slam, einem literarischen Wettbewerb, werden selbst geschriebene Texte einem Publikum dargeboten, das anschließend den Sieger kürt.

Die ersten derartigen Veranstaltungen datieren aus der Mitte der 80er Jahre und fanden in Chicago statt. Erdumfassend sind die englischsprachige und danach die deutschsprachige Slam-Szene am meisten ausgeprägt.

Ich weiß das erst seit wenigen Tagen, seit mich Sarah erwischte.  Wie sie zum Poetry Slam kam, was sie alles erreichen will, woher die Ideen kommen, erzählt sie uns hier und jetzt:

 

„Meine Texte haben immer auch etwas mit mir zu tun, ja.“

 

JJ: Sarah, erzähle mal bitte, was bei diesem Vortrag los war mit dir ;-). Wolltest du gezielt zum Osterfest, das ein christliches Fest ist, deine Gedanken zu deinem christlichen Glauben erstmal aufschreiben und dann darbieten? Oder war es ganz anders, löste ein Gedanke den nächsten ab und ein Resultat entstand wie von ungefähr, oder ganz, ganz anders?

Sarah Kersting: In der Tat glaube ich an Gott und das spielt in meinem Leben eine grundlegende Rolle, ist eine echte Herzensangelegenheit. Dass der Text aber genau an Ostern veröffentlicht wurde, haben sich die wunderbaren Leute von  „niA wortmusik“ überlegt, die vor einigen Wochen das Video mit mir gedreht haben.

Sarah Kersting; Slam Mutanfall in Siegburg

Sarah Kersting; Slam Mutanfall in Siegburg

Die Entstehung des Textes verlief unabhängig davon. Es war ein bisschen so wie du gerade gesagt hast – ein Gedanke löste den nächsten ab, da war ein Wunsch in meinem Herzen, der nach einer Welt ohne Verurteilung, der schon lange in mir brennt. Ich begann dann vor einigen Monaten, ihn in detaillierte Worte zu fassen, und so entstand dieser Text innerhalb eines Nachmittags.

JJ: Und: Was denkst du, was hoffst du, was wünscht du, was du maximal oder minimal erreichen kannst mit solch einem Text?

Sarah Kersting: Zum einen geht es darum, mir Luft zu machen, den Gedanken in meinem Herzen Ausdruck und Gehör zu geben. Was ich mir vor allem wünsche zu erreichen ist, so zu schreiben, dass Menschen sagen: „Mensch, genau diese Dinge erlebe oder fühle ich genau so, und du hast das in solch passenden Worten greifbar gemacht.“

Ich wünsche mir meine Texte wie einen Spiegel oder einen Verstärker für das, was sowieso in den Zuhörern schon da ist. Sehnsüchte, Träume. Vor allem geht es darum, das, was ist, mit Hoffnung zu verbinden.

JJ: Blicken wir mal zurück, Sarah, warst du als Kind schon die Erzählerin und Schreiberin?

Sarah Kersting: Ich erinnere mich an eine Begebenheit, ich war circa acht Jahre alt, da träumte ich eine komplette Geschichte in Reimform, wachte auf, wusste noch alles und schrieb es gleich auf. Zwei DIN-A4 Seiten. In der Schule bekam ich des Öfteren bei Referaten und Vorträgen die Rückmeldung, man könne mir sehr gut zuhören und ich hätte eine angenehme Stimme.

Bis heute bewahre ich selbst geschriebene Gedichte und Geschichten aus meiner Kindheit und Jugend auf. Ja, das war schon immer ein Teil von mir und hat mir in vielen Situationen geholfen, mich einerseits selbst nicht zu verlieren und auch zu sagen: Ja, es gibt mich, ich bin da, das ist gut so, und ich darf etwas sagen.

JJ: Wie kam es dann bei dir persönlich zum Poetry Slam?

Sarah Kersting: Im Jahr 2015 stieß ich im Internet auf diverse Aufnahmen von Slammerinnen und Slammern. Zuvor hatte ich von dem Format noch nie gehört. Ich war wie gebannt. Es war fast zu schön um wahr zu sein, dass da Menschen mit dem, was ich am meisten liebe, wirklich etwas auf die Beine stellen, anstatt es zuhause in ihrem Zimmer zu verstecken.

Sarah Kersting; privat

Sarah Kersting; privat

Einige Monate lang klickte ich mich durch hunderte von Videos, im Herbst besuchte ich dann meinen ersten Slam live und zwei Wochen später stand ich selbst auf der Bühne. Ich habe einmal angefangen, und dann nicht wieder aufgehört. Zumal es etwas ganz besonderes ist, keine one-man-Show zu machen, sondern gemeinsam mit anderen Slammerinnen und Slammern einen Abend für das Publikum zu gestalten, das fühlt sich großartig an.

JJ: Bitte sowohl aus der Sicht als Zuhörerin/Zuschauerin als auch aus der Perspektive der Vortragenden, was ist die Faszination Poetry Slam für dich ganz persönlich, Sarah?

Sarah Kersting: In der vorherigen Frage habe ich das schon kurz angerissen, aus meiner Sicht der Vortragenden ist es zum einen das gemeinsame Erschaffen. Es ist schön, immer öfter bekannte Gesichter an unterschiedlichen Auftrittsorten zu treffen, Teil von etwas zu sein – ob nun als kleines oder großes Licht, das ist eigentlich egal.

Zum anderen finde ich es so gut und wichtig, dass das Format Menschen eine Stimme gibt. Im Prinzip kann sich jeder dort oben hinstellen und von dem sprechen, was ihn bewegt, oder zeigen, was er kann. Das empfinde ich als sehr wertvoll und wichtig, gerade in unserer Zeit, in der wir auch Verantwortung für unsere Worte haben. Auch für die, die nicht gesagt werden.

Dann das Lebensgefühl, das damit verbunden ist. Reisen, Orte sehen, Menschen treffen, müde oder aufgeregt zu sein auf eine ganz spezielle Art.

Sarah Kersting; Kopfnuss Lesebühne Bonn

Sarah Kersting; Kopfnuss Lesebühne Bonn

Aus der Sicht des Zuhörers/der Zuhörerin – ich glaube, da mehrere Künstler*innen auftreten, ist für jeden etwas dabei, das er sich mitnehmen kann. Lachen, weinen, berührt werden. Und es ist natürlich toll, eine Bewertung abgeben zu dürfen.

Darin besteht auch überhaupt der Sinn des ganzen Formats: Künstler*innen und Publikum machen etwas gemeinsam. Zuhörer*innen sind nicht nur Konsumenten, sondern geben etwas zurück. Das schafft meist eine großartige Atmosphäre.

JJ: Schreibst du Texte auch zum Lesen, oder ist der mündliche Vortrag Pflicht?

Sarah Kersting: Die meisten Texte sind tatsächlich zum Vortrag gedacht. Es ist etwas anderes, wenn ich mit meiner Stimme und Performance noch mehr zum Ausdruck bringen kann. Aber ich schreibe die Texte so, dass sie auch gelesen ihre Wirkung haben.

Oft fragen mich Leute nach meinem Auftritt, ob ich eine schriftliche Version habe, weil das Gesagte zum Nachdenken anregt und sie sich gerne noch einmal in Ruhe einlesen möchten. Das freut mich immer sehr.

JJ: Bei welchen Gelegenheiten trittst du auf, was findet eventuell nur online statt?

Sarah Kersting: Ich trete auf Poetry Slams überall in der Umgebung auf, meist bis zwei Fahrtstunden Entfernung, hin und wieder gibts aber auch eine Tour, bei der ich in anderen Gegenden unterwegs bin – kürzlich war ich zum Beispiel im Raum Nürnberg.

Außerdem werde ich für Veranstaltungen außerhalb von Poetry Slam gebucht, das reicht vom Firmenfest über Jahreszeitenfeste bis zu politisch orientierten Veranstaltungen. Auch schreibe ich Auftragstexte und Lieder für Hochzeiten und dergleichen.

Sarah Kersting; KGB Bonn

Sarah Kersting; KGB Bonn

Ich habe einige Videos auf YouTube und eine Künstlerseite bei  facebook, worüber man mich erreichen kann und ich auch hin und wieder Updates, kleine Auszüge aus meinen Texten oder einfach spontane Gedanken zu einem aktuellen Thema poste.

JJ: Wie erreicht dich Feedback, was macht es mit dir?

Sarah Kersting: Oft kommen Menschen direkt nach einem Auftritt auf mich zu und erzählen mir, was meine Worte bei ihnen ausgelöst haben. Das ermutigt und freut mich sehr. Zu erleben, dass das, was ich sage und tue, nicht einfach so verpufft, gibt mir Antrieb.

Manchmal denke ich, wie bestimmt viele andere Menschen auch, ich hätte eigentlich nichts zu sagen und möchte mich zurück ziehen. Doch dann erinnere ich mich an das positive Feedback und bin im wahrsten Sinn des Wortes „wieder da“.

Konstruktive Kritik ist mir ebenfalls sehr wertvoll und wichtig. Ich habe dadurch schon einiges gelernt und bitte nicht selten Menschen darum, von denen ich weiß, dass sie mir ehrlich antworten. Auch die Bewertungen bei den Slams sind eine Form von Feedback.

Anfangs haben mich niedrige Punktzahlen sehr verunsichert. Aber je länger man mit dabei ist, umso mehr merkt man, worauf es wirklich ankommt: Dass man selbst die Texte liebt, die man da vorträgt. Dann nimmt man die Bewertung nicht mehr persönlich, sondern einzig und allein als Feedback für den Text.

JJ: Entstehen deine Texte aus dem Leben, aus dem Nichts manchmal, oder nimmst du dir ein Thema gezielt vor?

Sarah Kersting: Meine Texte haben immer auch etwas mit mir zu tun, ja. Ich achte darauf, dass das Thema auch andere Menschen betrifft und bewegt, möchte es aber gerne zuvor selbst „durchgeackert“ haben oder zumindest im Prozess stehen.

JJ: Sarah, machst du sonst noch etwas künstlerisch?

Sarah Kersting: Ich schreibe seit längerem schon eigene Lieder und trete damit auch bei unterschiedlichsten Gelegenheiten hin und wieder auf.

JJ: Was ist demnächst geplant, welche Träume schlummern diesbezüglich in dir?

Sarah Kersting: Ich möchte gerne einige Sachen schriftlich veröffentlichen. Außerdem werde ich öfter auf Tour gehen und Slams besuchen, die weiter entfernt stattfinden. Ansonsten halte ich es vor allem so: Weitergehen, Augen offen halten für neue Träume und diese auf dem Weg mitnehmen.

Denn im Moment lebe ich schon einen Traum: Ich sitze morgens zuhause an meinem Schreibtisch und stehe abends auf der Bühne, tue das, was ich liebe und kann zum Teil davon auch leben. Das ist für mich ein echter Grund, sehr dankbar zu sein.

JJ: Danke.

Foto Startseite: Sarah Kersting, Kopfnuss Lesebühne Bonn

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